Finanzdienstleister und die Öffentlichkeit

"Eine Spruchkompetenz wäre eine Scheinlösung"

Seit wann existiert der Ombudsmann der Schweizer Kreditwirtschaft?

Seit dem 1. April 1993 - also kurz, nachdem in Deutschland der Bundesverband deutscher Banken seinen Ombudsmann eingerichtet hat. Wir haben dort auch ein bisschen abgeschaut - aber nur wenig.

Was ist am Schweizer Ombudsmann anders?

Es gibt zwei grundlegende Unterschiede zu deutschen Ombudsleuten:

Für den Kunden der wichtigste ist, dass wir keine Spruchkompetenz haben. Bank und Kunde sind somit grundsätzlich frei, unsere Vorschläge zu akzeptieren oder auch nicht.

Der zweite Unterschied: In Deutschland wird großer Wert darauf gelegt, dass der Ombudsmann die Eignung zum Richteramt hat. Das ist in der Schweiz anders. Ich bin Bankfachmann, und wir gehen die Fälle deswegen auch anders an. Selbstverständlich ist auch für uns die Rechtslage Ausgangspunkt. Wir suchen jedoch Lösungen mehr nach fachlichen und Billigkeitskriterien, als dass wir alleine auf die Rechtslage abstellen.

Die Spruchkompetenz wird derzeit diskutiert ...

Das ist richtig. Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma hat einen sogenannten Vertriebsbericht herausgegeben, in dem sie gewisse Ideen entwickelt, wie man den Verbraucherschutz verbessern könnte. Eine dieser Überlegungen zielt darauf ab, ob man dem Ombudsmann Spruchkompetenz geben sollte. Das steht im Moment zur Diskussion. Jetzt können sich die verschiedenen Seiten, zum Beispiel Verbraucherschützer, aber auch der einfache Bürger, dazu äußern, und die Verwaltung hat den Auftrag, diese sogenannten Vernehmlassungen zu verarbeiten. Darauf basierend wird die Finma entscheiden, in welche Richtung sie weiter wirken will.

Wir sind eher gegen die Spruchkompetenz. Denn wenn eine solche eingeführt würde, wäre sie zweifellos betraglich begrenzt auf 5000 oder 10000 Franken. Im Gegenzug müssten wir dann eine ausgeklügelte Verfahrensordnung befolgen, wie es heute schon dort der Fall ist, wo der Ombudsmann eine Spruchkompetenz hat. Das würde uns in unserer Freiheit begrenzen, die Fälle offen und lösungsorientiert anzugehen. Wenn man das gegeneinander abwägt, verzichten wir lieber auf die Spruchkompetenz und behalten die Freiheit, offensive Lösungen anzustoßen.

Ein anderer Aspekt: Im Reglement, das der Stiftungsrat für den Ombudsmann erlassen hat und das auch für die Banken verbindlich ist, heißt es: "Der Ombudsmann unternimmt alles, was ihm zu einer freien eigenen Meinungsbildung erforderlich erscheint." Dazu gehört, dass er bei der Bank Akten einholt. Wir können also von der Bank Einsicht in das gesamte Kundendossier verlangen. Das wäre bei einer Spruchkompetenz unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überhaupt nicht mehr denkbar.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Banken üblicherweise auf unseren Vorschlag einschwenken, wenn es um kleinere Beträge geht. Schwierigkeiten gab es in der vergangenen Finanzkrise insbesondere bei Fällen bezüglich Lehman Brothers und Absolute Return, wo es um Beträge weit jenseits von 5000 oder 10000 Franken ging. Da würde die Spruchkompetenz ohnehin nicht helfen. Auch deshalb halten wir die Spruchkompetenz für eine Scheinlösung des Problems.

Und schließlich: In normalen Zeiten haben wir auch ohne Spruchkompetenz eine Durchsetzungsquote von über 90 Prozent der Fälle, bei denen die Bank auf unseren Vorschlag eingeht. Diese Quote ist in der Finanzkrise gesunken, nähert sich aber wieder ihrem ursprünglichen Stand.

Diskutiert wird derzeit auch die Finanzierung der Schlichtungsstelle. Wie sieht diese bisher aus?

Finanziert wird der Ombudsmann von den Banken selbst. Um trotzdem die Unabhängigkeit zu wahren, wurde von der Schweizerischen Bankiervereinigung, die alle Bankengruppen vertritt, eine Stiftung geschaffen. Deren Stiftungsrat besteht aus unabhängigen Persönlichkeiten. Präsident ist traditionell ein Politiker. Daneben gibt es immer einen Vertreter der Justiz, der Wissenschaft und je einen Vertreter der Banken und der Konsumenten. Dieser gewissermaßen paritätisch besetzte Stiftungsrat, der das Budget verabschiedet, garantiert unsere Unabhängigkeit, wenngleich die Banken die Ombudsstelle finanzieren.

Dennoch gibt es Stimmen, die trotzdem eine Abhängigkeit von den Banken befürchten. Das ist aus meiner Sicht jedoch nicht nachvollziehbar. Denn die Kontrolle durch die Öffentlichkeit ist so eng, dass es nach wenigen Monaten publik würde, wenn wir systematisch Vorschläge zugunsten der Banken unterbreiten würden. Im Gegenteil: Wir haben überhaupt keine Hemmungen, den Banken, falls nötig, auf die Füße zu treten.

Ich meine, die Finanzierung ist absolut korrekt geregelt. Es ist richtig, dass die Kunden nichts bezahlen sollen. Denn der Zugang zum Ombudsmannverfahren soll selbstverständlich niederschwellig sein. Natürlich gibt es Kunden, bei denen man den Eindruck hat, dass die Anfrage querula torisch ist. Aber das sind so wenige, dass es im Grunde vernachlässigbar ist.

Die Erfahrung zeigt, dass fast ausnahmslos die Bank Anlass liefert, wenn ein Kunde sich an uns wendet. Hierbei gibt es zwei Situationen: Entweder die Bank hat keinen Fehler gemacht, dann soll sie fähig sein, dies dem Kunden so zu erklären, dass er es akzeptiert. Kann sie das nicht, muss sie sich nicht wundern, wenn er sich an den Ombudsmann wendet. Oder sie hat einen Fehler gemacht, dann muss sie ihn korrigieren, ohne dass der Ombudsmann eingreift. Tut sie es nicht, muss sie sich ebenfalls nicht wundern, wenn der Kunde sich an den Ombudsmann wendet.

Wie haben sich seit 1993 die Kundenanfragen beim Bankenombudsmann verändert?

Es gibt einen grundsätzlichen Trend: Die Bankkunden werden kritischer. Vor allem in den letzten paar Jahren zeigt sich, dass das Vertrauen in die Banken geschwunden ist. Es wird zunehmend hinterfragt, ob die Banken korrekt handeln. Solche Anfragen, bei denen der Kunde keine Intervention, sondern lediglich die Überprüfung eines Vorfalls wünscht, kannten wir früher nicht.

In normalen Börsenzeiten verteilen sich die Anfragen bei uns auf alle Sachgebiete. In Finanzkrisen steigt der Anteil der Anfragen zu Anlageberatung und Vermögensverwaltung naturgemäß an. In der Funktion als Bankenombudsmann habe ich bereits drei Anlegerkrisen erlebt: 1994, 2001/2002 und die aktuelle Krise. Dabei stelle ich fest: In früheren Krisen waren die informierten Anleger betroffen und wandten sich an uns. Wenn die Bank in der Beratung nicht krass versagt hatte, musste man darauf verweisen, dass die Börse keine Einbahnstraße ist und es eben auch einmal nach unten gehen kann.

In der neuesten Krise ist eine neue Kategorie von Kunden dazu gekommen: der Sparer im engeren Sinne, also der Anleger, der keine Erfahrung mit Wertpapieren hat, großen Wert auf Sicherheit legt und vor allem auf den Werterhalt seiner Anlage bedacht ist. Sie sind in der aktuellen Krise auch zu Schaden gekommen durch zwei Produkte, die ausdrücklich für sie produziert wurden: Kapitalschutzprodukte von Lehman Brothers, andererseits sogenannte Total Return Produkte, bei denen gewisse Produzenten schlicht versagt haben.

Diese Produkte wurden teilweise an Kunden verkauft, für die sie nicht geeignet waren und die nicht genug darüber aufgeklärt wurden, dass sie auch mit solchen vermeintlich sicheren Produkten Verluste machen können. Das war neu. Und es hat die Anzahl der Anfragen bei der Ombudsstelle massiv steigen lassen.

Im Jahr 2010 hatte sich die Anzahl der Anfragen bei der Ombudsstelle gegenüber 2009 wieder in etwa halbiert. Wie sah das 2011 aus?

2007 hatten wir das letzte "normale" Jahr. Nach wie vor verzeichnen wir mehr Fälle als vor der Krise. 2011 dürfte ihre Zahl etwa um 20 Prozent über dem Niveau von 2007 liegen. Auf diesem Niveau scheint sich die Entwicklung zu stabilisieren.

Tendenziell rechne ich damit, dass die Anzahl der Anfragen stetig aufwärts gehen wird. Dabei kommen verschiedene Faktoren zum Tragen:

Es werden immer wieder Fehler gemacht, auch immer wieder neue.

Es gibt immer wieder Entwicklungen, bei denen man erst Fehler machen muss, um Erfahrungen sammeln zu können.

Und die Kunden müssen sich erst daran gewöhnen, dass es die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens gibt. Es kommen immer wieder Kunden zu uns, die gerade erst entdeckt haben, dass es den Ombudsmann überhaupt gibt.

Sie verweisen im Referat zur Vorstellung des letzten Jahresberichts auf die Eigenverantwortlichkeit der Kunden und warnen davor Geschäfte abzuschließen, die der Anleger auch bei Nachfragen nicht versteht. Sind die Kunden über die Jahre leichtsinniger geworden? Oder neigen sie im Informationszeitalter schlicht mehr dazu, ihre Finanzkompetenz zu überschätzen? Und wie gehen Sie mit solchen Fällen um?

Dass Kunden dazu neigen, ihre Finanzkompetenz zu überschätzen, ist sicher ein wichtiger Punkt. Hinzu kommt natürlich, dass es die Produkte, bei denen sich jetzt die Anfragen häufen, früher gar nicht gab. 1994 hatte ich mich nicht um strukturierte Produkte zu kümmern. Die gab es zumindest für den Durchschnittsanleger nicht. 2001 war ich zuerst mit Barrier Reverse Convertibles konfrontiert, mit denen die Anleger keine Erfahrung hatten. In der jüngsten Krise war das noch viel schlimmer. Denn hier kamen noch Multi Barrier Reverse Convertibles hinzu.

Es liegt letztlich am Berater, herauszufinden, wie der Wissensstand seines Kunden ist, und ihn entsprechend aufzuklären und zu beraten. Letztlich vertrete ich aber ganz klar die Meinung: Der Kunde handelt auch selbstverantwortlich. Wenn er etwas nicht versteht, muss er Fragen stellen. Wenn er das nicht tut und sich kundig gibt, hört irgendwann auch die Verantwortung des Beraters auf.

Das große Problem für uns besteht darin herauszufinden, wie das Beratungsgespräch abgelaufen ist. Deshalb stellen wir auf das Resultat ab. Für uns ist das Kundenprofil mit seiner Risikofähigkeit das A und O. Wenn das Resultat des Beratungsgesprächs dem Risikoprofil des Kunden entspricht, ist schon sehr viel gewonnen. Ist aber ein Anleger nicht risikofähig und möchte konservativ anlegen, hat aber schließlich das ganze Portefeuille voll strukturierter Produkte, dann muss die Bank schon sehr gut dokumentieren können, dass der Kunde trotz Warnungen vor einer zu risikoreichen Strategie darauf beharrt hat.

Spricht dies für ein Beratungsprotokoll?

Das wird im Moment auch in der Schweiz diskutiert. Von vielen Banken werden entsprechende Customer

Files bereits seit einiger Zeit angelegt, in denen die Eckpunkte des Beratungsgesprächs eingetragen und nachträglich nicht mehr verändert werden können. Das ist sehr hilfreich, wenn der Berater es gut macht.

Gegenüber einer Protokollpflicht bin ich aber extrem skeptisch. Denn ich habe auch schon Protokolle gesehen, die lediglich aus vorgefertigten Textbausteinen zusammengefügt und kaum mehr als eine Alibi-Übung waren. Es bringt auch wenig, das Protokoll vom Kunden unterschreiben zu lassen, wenn dieser es nicht vorher liest. Wichtiger ist es, an der Beratungsqualität zu arbeiten. Und mein Eindruck ist, dass die Banken das tatsächlich tun.

Ziehen Banken auch Lehren aus Ihrer Arbeit?

Viele Banken verwenden den Jahresbericht des Ombudsmanns für ihre Ausbildung. Denn man lernt nirgends soviel wie aus Fehlern und nirgends so günstig wie aus Fehlern anderer. Zum Teil haben wir auch direkte Rückmeldungen von Banken, bei denen wir systematische Mängel aufgedeckt haben.

Gibt es typische Beschwerdefälle, die im Lauf der Zeit verschwunden sind?

Die gibt es. Noch bevor die Ombudsstelle eingerichtet wurde, haben die Banken begonnen, die einzelnen Dienstleistungen zu "rentabilisieren". Zunächst hat man den Kunden mit Entgelten belastet, ohne im Vorfeld darüber zu informieren. Das hat zu vielen Anfragen bei uns und entsprechenden Interventionen geführt. Inzwischen hat jede Bank selbstverständlich ein Preisverzeichnis, in dem man nachlesen kann, welche Dienstleistung wie viel kostet. Häufig gab es auch Diskussionen über das Zustandekommen einer Festhypothek. Früher wurden ausgehandelte Konditionen nicht immer gleich schriftlich fixiert, was dazu führte, dass Kunden sich nicht gebunden fühlten, solange nichts unterschrieben war. Das führte zu Diskussionen - insbesondere mit einer großen Bank. Heute werden die Konditionen meist schriftlich fixiert.

Der Anteil der ausländischen Kunden, die sich an die Ombudsstelle wenden, ist relativ hoch ...

Der Anteil der Anfragen ausländischer Kunden hat im Lauf der Jahre zugenommen. Aktuell liegt er bei etwa 40 Prozent. In der Finanzkrise ist dieser Anteil krass gesunken. Absolut gesehen ist die Anzahl der Anfragen aus dem Ausland zwar weiter gestiegen. Durch die zahlreichen Anfragen von Kleinanlegern aus der Schweiz haben sie aber relativ abgenommen.

Kommen die ausländischen Kunden mit anderen Anliegen zu Ihnen als die Schweizer?

Zahlungsverkehr ist bei den ausländischen Kunden ebenso ein Thema wie bei Kunden aus der Schweiz. Hypotheken dagegen spielen eine geringere Rolle. Der Großteil der Anfragen betrifft das Anlagegeschäft, wobei die ausländischen Kunden üblicherweise keine Kleinanleger sind.

Die Komplexität der Anfragen bei der Ombudsstelle hat zugenommen. Ist das eine möglicherweise vorübergehende Folge der Krise oder ein langjähriger Trend?

Ich würde das als generellen Trend bezeichnen.

Die Produktvielfalt und das Kundensegment, das komplexere Dienstleistungen in Anspruch nimmt, haben extrem zugenommen. Die Produkte sind teilweise so komplex, dass die Berater sie selbst nicht verstehen. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Bearbeitungszeit pro Anfrage künftig auch nach Abarbeitung der "Lehman-Spitze" länger sein wird als früher.

Welche Bedeutung hat das "Girokonto für Jedermann" in der Schweiz?

In der Schweiz gibt es keine Verpflichtung einer Bank, einen Kunden zu akzeptieren und für ihn ein Konto zu führen. Ausnahme ist die Postfinance, die traditionell extrem stark im Zahlungsverkehr ist. Die Post als öffentlichrechtliche Unternehmung muss Konten für alle Kunden führen. Anfragen von Kunden, denen ein Girokonto verweigert wird, gibt es bei uns nicht.

Seit ein paar Jahren kommt allerdings eine neue Thematik auf, nämlich dass Banken ihre Kunden hinauswerfen. Das betrifft vor allem ausländische Kunden. Das ist ein Trend, der mir Sorgen macht. Ich habe aber auch Verständnis für die Banken. Denn die Beachtungen der ausländischen Rechtsordnungen wird immer komplexer und ist mit solchem Aufwand verbunden, dass die Banken sich vor allem von Kunden aus den USA getrennt haben und bei anderen Kunden eine spezielle Gebühr verlangen.

Sind das Fälle, bei denen das Ombudsmann-Verfahren üblicherweise zugunsten der Bank ausgeht?

Ja. Denn wir haben Vertragsfreiheit, und wenn die Bank einen Kunden nicht mehr haben möchte, muss sie nicht einmal einen Grund angeben. Teilweise wurde bei diesen Kündigungen aber der Fehler begangen, die Fristen viel zu knapp zu setzen. Hier haben wir interveniert, mit dem Ergebnis, dass man dem Kunden jetzt Zeit lässt, sich neu zu orientieren.

Gibt es andere Themengebiete, bei denen Ihr Vorschlag typischerweise zugunsten der Bank beziehungsweise des Kunden ausfällt?

Im Grunde nicht. Das ist es, was die Arbeit bei der Ombudsstelle extrem spannend macht. Denn es gibt immer wieder Fälle, die sich bei näherem Hinsehen ganz anders darstellen, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.

Welcher Anteil der Fälle, bei denen eine Einigung scheitert, wird schließlich vor Gericht entschieden?

Das wissen wir nicht, denn meist informiert uns der Kunde nicht darüber, und die Banken dürfen es nicht. Manchmal werden wir aber vom Kunden informiert. Und wir wissen von keinem Fall, in dem ein Gericht anders entschieden hat, als unser Vorschlag lautete.

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