Leitartikel

"Große Koalition für Sparer" - vergeblich

In Bedrängnis rücken Menschen zusammen und bilden Interessengemeinschaften, die in normalen Zeiten eher die Ausnahme bilden. Man kennt das von gewaltsamen politischen Konflikten ebenso wie von Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Hochwasser. Und zuweilen gibt es unter Drucksituationen auch in Politik und Gesellschaft höchst überraschende Bündnisse. So hat der Ausgang der Bundestagswahl die beiden größten Parteien im Herbst 2013 eher unfreiwillig in eine Regierungsbildung gedrängt. Und in ihrer hochgradigen Unzufriedenheit mit der Geldpolitik der EZB haben sich Anfang Juni 2014 in Deutschland schon zum zweiten Mal binnen Jahresfrist die beiden kreditwirtschaftlichen Verbünde sowie die Versicherungswirtschaft zusammengefunden, obwohl sie normaler weise in sportlichem Wettstreit um die Anlagegelder der Bürger konkurrieren.

Schon am Maifeiertag 2013 hatten mit Uwe Fröhlich, Georg Fahrenschon und Alexander Erdland die drei Präsidenten von BVR, DSGV und GDV in einer "Großen Koalition für Sparer" einen gemeinsamen öffentlichen Aufruf an die EZB gerichtet, um die Notenbank von einer weiteren Senkung der Leitzinsen abzuhalten. Die Argumentationslinie gegen eine anhaltende Niedrigzinspolitik reichte seinerzeit von Vorwürfen einer schleichenden Enteignung der Sparer durch negative Realzinsen über grundsätzliche Mahnungen zur Vermeidung von Fehlanreizen für das Sparen und die (Alters-) Vorsorge bis hin zu schädlichen Auswirkungen auf die Finanzstabilität. Die erklärte Absicht der Notenbank, mit einer erneuten Senkung der Leitzinsen nicht zuletzt die Kreditvergabe in den Ländern Südeuropas ankurbeln zu wollen, wurde schon seinerzeit dem Tenor nach eher als kühne Hoffnung denn als aussichtsreiche Maßnahme eingestuft.

Durchschlagenden Erfolg hatten im Rückblick weder die Warnungen der drei großen finanzwirtschaftlichen Interessenverbände noch die geldpolitische Lockerung der EZB. Die Aussicht der drei Präsidenten auf Gehör verflog damals schon nach einem Tag, als sich die Notenbank am 2. Mai 2013 auf eine Leitzinssenkung verständigte, der sie am 7. November 2013 eine weitere auf 0,25 Prozent folgen ließ. Die Hoffnung auf wirklich entscheidende Impulse zur Einleitung eines selbsttragenden Erholungsprozesses der europäischen Wirtschaft erfüllte sich mit diesen Zinsschritten allerdings nicht. Zwar konnten im Verlauf des Jahres 2013 zumindest die negativen Wachstumsraten in einigen europäischen Ländern gestoppt und gewisse Aussichten auf einen allmählichen wirtschaftlichen Aufschwung in der Eurozone genährt werden. Doch diese Effekte sind mittlerweile längst wieder verpufft. Das Wachstum ist europaweit deutlich weniger angesprungen als erhofft. Die Aussichten auf einen Aufschwung ohne weiteren Anschub von außen sind eher gedämpft.

Isoliert betrachtet mochte es noch als hoffnungsvolles Zeichen gewertet werden, dass einige der europäischen Peripheriestaaten im Frühjahr 2014 am Kapitalmarkt wieder Staatsanleihen zu vergleichsweise moderaten Konditionen platzieren konnten. Aber erst recht nach den jüngsten geldpolitischen Beschlüssen der EZB von Anfang Juni dieses Jahres muss man den Kapitalmärkten mehr denn je eine sehr nüchterne Gesamtschau konstatieren. Sie werten die Eurozone - trotz aller Risiken der unübersehbaren Unmutsbekundungen wie sie nicht zuletzt der Zuspruch für europakritische Parteien bei der Europawahl im Mai dokumentiert - mehr denn je als eine Art Haftungsgemeinschaft, mit dem Euro als Faustpfand und der EZB als mächtigem Garantiegeber.

Aus Sicht von Sparkassen, Genossenschaftsinstituten und Versicherern hat sich damit das zinspolitische Umfeld gegenüber dem Frühjahr vergangenen Jahres noch einmal spürbar verschärft, zumal die Diktion im Umfeld der verantwortlichen Geldpolitiker schon vor den jüngsten Entscheidungen klar auf weitere Lockerungen ausgerichtet war. Sowohl die EZB als auch einige nationale Notenbanken hatten seit geraumer Zeit sehr offensiv einen negativen Einlagenzins für Bankguthaben bei der Notenbank diskutiert. Selbst die Deutsche Bundesbank hatte angedeutet, diesen Weg leichter mitgehen zu können als Anleihekäufe. Es durfte somit letztlich nicht wundern, dass sowohl der erneute Aufruf des Zweckbündnisses von BVR, DSGV und GDV zu einer behutsamen Wende der Geldpolitik als auch die anhaltenden Warnungen aus der Wissenschaft nicht fruchteten und als Sonderinteressen der hiesigen Finanzmarktlobbyisten gewertet wurden. Auch die Hinweise aus der BIZ auf schwer kalkulierbare Risiken und Nebenwirkungen eines negativen Einlagenzinses fanden wenig Beachtung. Im Gegenteil: Bekanntlich hat die EZB nicht nur die möglicherweise eher symbolischen Schritte einer weiteren Zinssenkung sowie eines negativen Einlagenzinssatzes beschlossen (siehe auch Gespräch des Tages), sondern sie hat die Liquiditätsversorgung der Banken noch einmal massiv ausgeweitet und verbal das Feld für den Ankauf von qualitativ hochwertigen ABS-Papieren bereitet, wie immer man diesen Standard definieren mag.

Es mutet irgendwie seltsam an, dass mit den Sparkassen, den Volks- und Raiffeisenbanken und den Versicherern nun auf unbestimmte Zeit ausgerechnet jene Gruppen und ihre Kunden von den Folgewirkungen der aktuellen Geldpolitik belastet werden, denen die Politiker aller Couleur in der akuten Phase der Aufarbeitung der Finanzkrise immer wieder ein verantwortungsvolles Wirtschaften und ein grundsolides Geschäftsmodell bescheinigt haben. Ist das alles vergessen? Was nutzen all die Vertrauensbekundungen der Öffentlichkeit im Zuge der Finanzkrise? Was helfen die Bekenntnisse der Politiker zum deutschen Dreisäulenmodell, wenn geldpolitische Entscheidungen zur Gefährdung der Existenzgrundlage vieler kleiner und mittlerer Institute werden können?

Gespannt darf man sein, wie die deutsche Bankenaufsicht diese Dinge wertet. Denn "im Mittelpunkt muss für jede Bank die Frage stehen, wo und wie sie heute und in Zukunft die Erträge erwirtschaften kann, die sie braucht, um langfristig am Markt bestehen zu können. Entscheidend ist, dass das Institut eine nachhaltige Geschäftsstrategie verfolgt." Diese Passage aus dem Jahresbericht 2013 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht untermauert die seit Anfang dieses Jahres nach § 25 a KWG gesetzlich vorgeschriebene Festlegung einer auf die nachhaltige Entwicklung der Institute gerichteten Geschäftsstrategie.

Den Sparkassen, den Volks- und Raiffeisenbanken sowie vielen Regionalinstituten des privaten Bankensektors mit einem Einlagenüberhang muss das wie Hohn vorkommen. Denn neben dem ohnehin durch die Fortentwicklung des Internets und den neuen Kommunikationsmöglichkeiten erzeugten Druck durch neue Wettbewerber, an deren Namen sich das Gros der potenziellen Kunden erst noch wird gewöhnen müssen, bereitet das regulatorische und wahrscheinlich mehr noch das geldpolitische Umfeld derzeit mindestens ebenso große Schwierigkeiten für die Zukunftsfähigkeit. Man mag zu Recht darüber streiten, wie die Haftungsgemeinschaften von Sparkassen und Landesbanken oder der genossenschaftlichen Ortsbanken und ihrer Zentralinstitute im europäischen Rahmen zukunftsfähig gestaltet werden können. Aber die Geschäftsmodelle der Ortsbanken ebenso wie der Versicherer dürfen weder regulatorischen noch geldpolitischen Sondersituationen geopfert werden. Die wirtschaftliche Integration Europas sicherzustellen, ist nur begrenzt Aufgabe der Geldpolitik. Das macht den Grat zur unerlaubten Strukturpolitik für die EZB immer schmaler. Es ist längst nicht ausgemacht, ob ihre aktuelle Politik das Modell Europa eher rettet oder schädigt.

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