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Im Banking 2.0 ist Flexibilität gefragt

Wer wissen möchte, wohin sich das Re-tail-Banking entwickelt, der muss über den Tellerrand des eigenen Gewerbes blicken - und sollte sich auch in sozialen Netzwerken wie My-Space oder Facebook, Online-Nachschlagewerken wie Wikipedia oder Video-Diensten wie You-Tube umsehen. Dabei stellt man schnell fest, dass die Entwicklung im Retailbanking via Internet noch am Anfang steht.

Vorbei die Zeiten, als man einen dicken Wälzer aus dem Regal geholt und nach Informationen geblättert hat. Wer sich heute etwa über die Funktionsweise eines Investmentzertifikats informieren möchte, der geht einfach online. Meist ist Wikipedia erste Adresse für solche Recherchen. Alleine die deutsche Ausgabe des kostenlosen Online-Lexikons wächst täglich um 500 Artikel. Auch wenn jedermann die Artikel in Wikipedia nach Belieben ergänzen oder verbessern kann, funktioniert das Modell erstaunlich gut. In einem Test des "Stern" hat Wikipedia sein Pendant aus dem Brockhaus-Verlag, bislang das Standard-Werk für Wissenshungrige, locker geschlagen. So ist es denn auch kein Wunder, dass die jüngste Auflage des Brockhaus nach Aussage des Verlags die vorerst letzte gedruckte Ausgabe sein soll.

Das sogenannte Web 2.0 - hier organisieren sich die Nutzer in Eigenregie, entscheiden über die Inhalte und erstellen diese meist auch selbst, statt nur passiv zu konsumieren - verändert schon wenige Jahre nach seinem Aufkommen die Informationsgesellschaft auf radikale Weise. Selbst jahrzehntelang erprobte Geschäftskonzepte geraten dadurch ins Wanken. Warum ein Lexikon kaufen, wenn die Recherche bei Wikipedia schneller und aktueller ist?

Selbstverständlich macht das Web 2.0 auch nicht vor Finanzdienstleistern halt. Schon heute tummeln sich etliche Anbieter im Internet, die auf eine Bank als klassischen Intermediär verzichten. So finden etwa Geldgeber und Kreditsuchende via Internet direkt zueinander - über Social-Lending-Dienste wie Smava oder Zopa. Privatanleger veröffentlichen eigene Aktienanalysen und diskutieren darüber, etwa bei Stockflock, Sharewise oder Tradingbird. Längst bezahlen Kunden ihre Rechnungen direkt über Online-Bezahlsysteme wie Paypal und Click and Buy. Eine Bankverbindung im herkömmlichen Sinn wird hier meist nur noch für Ein- oder Auszahlungen auf ein Referenzkonto benötigt.

Vorab-Informationen im Internet

Immer häufiger setzen die Nutzer auch dann auf Eigeninitiative, wenn es um Geschäfte mit der Hausbank geht. Bevor ein Finanzprodukt gekauft oder ein Vertrag abgeschlossen wird, informieren sich mehr als 60 Prozent erst einmal selbst, nur 36 Prozent verlassen sich noch alleine auf den Rat ihres Bankberaters, so Studienergebnisse von Forrester Research. Zudem entdecken die Kunden bei ihren Streifzügen durch das Web neue Produkte oder günstigere Konditionen.

In sozialen Netzwerken wird über die besten Anlageformen diskutiert, Kunden sprechen Empfehlungen oder Warnhinweise zu Angeboten aus. 56 Prozent der deutschen Internetnutzer haben sich schon einmal bei einer Kaufentscheidung von positiven Kommentaren im Netz beeinflussen lassen, 30 Prozent von negativen, so eine Ipsos-Umfrage. Das Web 2.0 verändert also auch die Kunde-Bank-Beziehung fundamental.

Droht den klassischen Banken und Finanzdienstleistern dadurch Gefahr? Ja und nein. Ja für den, der weiter wie bisher nur auf sein bewährtes Geschäftsmodell setzt. Schließlich möchten die neuen Anbieter schnell Marktanteile gewinnen, das geht meist nur auf Kosten etablierter Dienstleister und setzt zudem die Margen im klassischen Bankgeschäft weiter unter Druck.

Hinzu kommt, dass die typisch deutschen Regionalbanken ohnehin seit Jahren unter Zugzwang stehen. In einer solchen Situation sind klare Leistungsversprechen gegenüber den Kunden sowie überzeugende Produkte notwendig - damit können große Filialbanken verloren geglaubtes Terrain wieder zurückerobern.

Direktbanken wie die Comdirect hingegen haben auf die veränderten Kundenanforderungen schnell reagiert - und müssen dies auch in Zukunft immer wieder tun, um im Web 2.0-Zeitalter den Anschluss nicht zu verlieren. Bislang konnten sie mit hoch verzinsten Tagesgeld- oder gebührenfreien Girokonten sowie günstigen Brokerage-Angeboten kontinuierlich Marktanteile im Privatkundengeschäft gewinnen.

Online-Banken: Konzentration auf Kernkompetenzen

Dabei gilt: Das Web 2.0 ist eine Chance für diejenigen, die die aktuellen Trends der Informationsgesellschaft aufgreifen und aktiv die Zukunft des Banking mitgestalten. Ihnen bietet das Web 2.0 sogar herausragende Möglichkeiten, neue Produkte anzubieten, neue Zielgruppen zu erschließen und damit das eigene Geschäft deutlich auszuweiten. Vor allem diese Online-Banken werden von den neuen Trends im Internet profitieren.

Im Wettbewerb um die Kunden von morgen haben sie als gewachsener Teil des Internets entscheidenden Vorsprung - Net Credibility sowie eine über die vergangenen Jahre erworbene, besonders ausgeprägte Online-Technologie-, Marketing- und Markt-Intelligenz. Als erste haben sie die Wertschöpfungskette im Banking fragmentiert, sich auf ihre Kernkompetenzen wie etwa das Brokerage oder die Online-Kontoführung konzentriert - und vor allem die Kunden als Partner akzeptiert und auf Augenhöhe angesprochen.

Innovationen durch Kunden-Feedback

Ein gutes Beispiel dafür sind etwa die Communities auf den eigenen Internet-Plattformen. Die Comdirect Bank hat bereits 1999 einen Online-Dialog mit ihren Kunden gestartet - lange bevor das Schlagwort Web 2.0 kursierte. Nutzer tauschen sich auf www.comdirect.de nicht nur über Finanzthemen aus, sondern diskutieren ungeschminkt über das Angebot ihrer Bank.

Jährlich gibt es in der Rubrik "Lob & Kritik" gut 5 000 Einträge und Verbesserungsvorschläge. Ein wertvoller Fundus für das Produktmanagement. So wurden beim letzten Relaunch der Online-Plattform mehr als 100 Verbesserungen umgesetzt, gut drei Viertel davon basierten auf den Vorschlägen der Kunden. Eine klassische Win-Win-Situation: Die Kunden können eigene Ideen formulieren, sehen diese auch zeitnah umgesetzt und fühlen sich ernst genommen. Die Bank wiederum erhält im Gegenzug wertvolle Informationen aus erster Hand - sie lernt, die Bedürfnisse der Kunden besser zu verstehen und die eigenen Angebote passgenau darauf abzustimmen.

Darunter sind auch innovative Features zu finden, die nicht sofort ins Auge stechen, dem Kunden aber einen ungemeinen Mehrwert bieten. Wer hat sich nicht schon einmal darüber geärgert, einen Überweisungsauftrag am Bildschirm auszufüllen? Die Bankverbindung, etwa von einem Ebay-Verkäufer per E-Mail mitgeteilt, musste bislang mühsam in die Formularfelder eingetippt oder Zeile für Zeile kopiert werden. Die Comdirect hat eine Überweisungshilfe entwickelt, bei der die Rechnungsangaben in einem Vorgang mittels copy & paste komplett in die Überweisungsmaske übertragen werden - die genaue Zuordnung der Daten wie Bankleitzahl, Kontonummer und Empfänger in die jeweiligen Formularfelder erfolgt automatisch. Im Prinzip genügt ein Mausklick für die Transaktion, die früher etliche Schritte seitens des Nutzers erforderte.

Eine weitere Reaktion der Comdirect Bank auf die Wünsche der Kunden: Als die Kunden verstärkt Investmentfonds mit einem starken Fondsmanagement und einem guten Rating nachgefragt haben, wurden passgenaue Vertriebsformate eingeführt. Mit dem Fonds des Monats oder den Fonds-Diamanten erhalten die Kunden intelligent verknüpfte Informationen, die sie bei der selbstbestimmten Anlageentscheidung unterstützen.

Personalisierte Bank-Websites

Gleiches gilt für die Fondssparpläne: Ein aufwändiger Auswahlprozess bestimmt diejenigen Werte, die sich sehr gut für den langfristigen Vermögensaufbau eignen. Der Kunde bekommt eine wertvolle Hilfestellung für seine Auswahl, anstatt einen Dschungel von mehreren Tausend Fondsangeboten durchforsten zu müssen. Das sind nur einige intelligente Hilfestellungen, die den Kunden übrigens auch in individualisierter Form zur Verfügung gestellt werden können.

Personalisierte Teaser für einzelne Angebote oder die Möglichkeit, sich den Zugang seiner Bank-Website ganz nach den eigenen Bedürfnissen zusammenstellen zu können - der Kunde bekommt also genau das zu sehen, was für ihn eine besonders hohe Relevanz hat. Aus einem Anbieter für die große Masse entsteht so eine Bank, die ihre Kunden individuell anspricht, anstelle ihnen das Gefühl zu vermitteln in der Menge unterzugehen.

Wie sieht also die Bank der Zukunft aus, die sich erfolgreich im Wettbewerb mit den jungen Anbietern der Web 2.0-Generation positioniert? Und wie agiert eine Bank in Zeiten, in denen der Kunde zum sprichwörtlichen Souverän aufsteigt? Ein Weg in die Zukunft, neben dem Blick über den Tellerrand und Investitionen in neue Ideen und Technologien, neben einem intensiven Kunden-Dialog auf Augenhöhe: Die Banken müssen jeden Tag aufs Neue beweisen, dass man sie braucht. Mag ein On-line-Anbieter noch so attraktive Konditionen haben, bei komplexen Bankprodukten wie einer Baufinanzierung oder einer passenden Altersvorsorge ist ein persönliches Beratungsgespräch per Telefon oder in der Geschäftstelle vor Ort unerlässlich.

Ohne Beratung geht es nicht

Die Comdirect, im Jahr 1994 als klassische Direktbank ohne Beratungsangebot gestartet, hat deshalb ab 2003 in den Auf- und Ausbau ihrer unabhängigen Beratungstochter investiert. Mit großem Erfolg: Mittlerweile zählt die Comdirect Private Finance AG 32 Geschäftsstellen in ganz Deutschland und mehr als 40 000 Kunden. Der Kunde bekommt also alles aus einer Hand: Standardisierte, aber individuell dargebotene Dienstleistungen wie Brokerage oder das Girokonto, sowie komplexe Produkte über eine unabhängige, persönliche Beratung - und zwar exakt auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten.

Eine Bank, die im Privatkundengeschäft auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich sein will, muss ihre Kunden also ganz genau kennen. Sie muss wissen, welche Angebote und Dienstleistungen sie haben möchten und welche nicht. Dafür muss sie jedem einzelnen Kunden zuhören oder, im Web 2.0-Zeitalter, sein in der Community oder via E-Mail artikuliertes Feedback persönlich statt mit standardisierten Floskeln beantworten. Sie muss den Kunden ernst nehmen und ihm das Gefühl vermitteln, als Individuum wahrgenommen und angesprochen zu werden - und nicht bloß eine anonyme Nummer in der Masse der Bankkunden zu sein. Soziale Intelligenz wird im Zeitalter von Social Networks und Social Commerce immer mehr zum Erfolgsfaktor.

Banken, die eine aktive Rolle in der Web 2.0-Welt einnehmen wollen, sollten die Risiken der modernen Informationsgesellschaft keinesfalls unterschätzen. Dies gilt vor allem für die Reputation des eigenen Unternehmens. Schnell ist heute ein Gerücht in einem der zahllosen Weblogs platziert oder eine negative Meinung ungefiltert in einem Forum verbreitet; und mittels Suchmaschinen wie Google sind solche Einträge jederzeit wieder auffindbar.

Die Schlagzeilen in der Zeitung von gestern dagegen mögen heute schon wieder in Vergessenheit geraten sein, Nachrichten im Fernsehen oder Radio haben sich meist schnell versendet - ohnehin haben diese klassischen Medien noch eine Kontrollinstanz in Form einer Redaktion, die etwa Gerüchte sorgfältig auf den Wahrheitsgehalt hin überprüft. Eine solche Instanz fehlt bei Weblogs, die heute jedermann einrichten und damit seine Meinung in Sekundenschnelle weltweit verbreiten kann.

Mit Kritik im Netz offen umgehen

Ein umfassendes Monitoring der Web 2.0-Inhalte in Bezug auf das eigene Unternehmen sollte deshalb auf der Tagesordnung stehen, alleine schon, um rechtzeitig auf falsche Behauptungen oder negative Meinungen reagieren zu können. Diese Arbeit ist als Bestandteil der Markenpflege zu verstehen. Wer auch im Web glaubwürdig kommuniziert und mit Kritik offen umgeht, leistet einen wichtigen Beitrag zum Auf- oder Ausbau einer starken Marke.

Zwei besonders wichtige Punkte, mit dem die Banken ihre Stärke gegenüber den neuen Anbietern aus dem Web ausspielen können, sind unter dem Stichwort Sicherheit zusammengefasst. Eine gut gegen unerwünschte Angriffe gesicherte IT-Plattform ist natürlich Voraussetzung für den Erfolg einer Online-Bank. Hier können einige Web 2.0-Angebote aber durchaus schon mithalten. Was ihnen dagegen fehlt, ist die Anbindung an ein Sicherungsinstrument wie den Einlagensicherungfonds des Bundesverbands deutscher Banken.

Social-Lending-Dienste können Risiken nicht ausschließen

Wer über eine Internet-Plattform einen Kredit gewährt, der trägt das Ausfallrisiko des Schuldners meist in voller Höhe selbst - und erhält dafür vielleicht gerade mal ein halbes oder ein Prozent mehr Zinsen, als bei einem guten Tagesgeldangebot einer etablierten Bank. Ob dieses Risiko den Nutzern der Social-Lending-Dienste überhaupt bewusst ist? Bei Zahlungsverzug ist der Ärger für den Geldgeber oft vorprogrammiert.

Das Phänomen Web 2.0 zeigt, wie die Zukunft der Retail-Banken und Finanzdienstleister aussehen kann - und dass die Zukunft zwar durchaus Risiken, aber auch enorme Chancen bietet, gerade für innovative Akteure. Wer seine Kunden ernst nimmt und auf ihre Bedürfnisse mit passgenauen Angeboten antwortet, dürfte ein gewichtiges Wort im Wettbewerb von morgen mitreden und sich ein entsprechendes Stück vom prognostizierten Wachstum sichern. Erst 22 Prozent der Haushalte in Europa nutzen laut einer Studie der Boston Consulting Group das Online-Banking. Bis 2015 soll dieser Anteil auf mehr als 50 Prozent steigen.

Das Web 2.0 zeigt aber auch deutlich, dass von den Marktteilnehmern heute ein hohes Maß an Flexibiliät und Veränderungsbereitschaft gefordert wird. Schließlich weiß heute noch niemand, welche Nischen oder etablierte Bank-Dienstleistungen als nächstes von findigen Entwicklern in ein funktionieren des Geschäftsmodell gegossen werden, dann vielleicht unter dem Stichwort Web 3.0.

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