Leitartikel

Fluch oder Segen?

sb Finanzdienstleister sind heute wie viele andere Branchen auch in hohem Maß von der Technik abhängig. Das bekommt jeder Anbieter schmerzhaft zu spüren, dessen Kunden sich über Systemeinschränkungen oder gar -ausfälle beschweren, wie sie im Zuge von IT-Migrationsprojekten manchmal nicht zu vermeiden sind. Ob die IT nun eher als Fluch oder als Segen zu bezeichnen ist, ist vor diesem Hintergrund nicht immer ganz einfach zu beurteilen.

Bei der Umsetzung regulatorischer Auflagen erweist sich die technische Unterstützung zweifellos als hilfreich. Dank ausgefeilter Systeme kann etwa vermieden werden, dass Berater im Kundengespräch gesetzlich vorgeschriebene Aspekte vergessen. Und die Hinterlegung von Produktempfehlungen im System hilft, die zu den vom Kunden gemachten Angaben wirklich passenden Produkte zu finden (und damit Fehlberatungsklagen zu vermeiden). In mancher Hinsicht wird der Berater dadurch zweifellos gegängelt, sein Ermessensspielraum eingeschränkt. Ganz überflüssig wird seine Leistung aber gleichwohl nicht, übernimmt er doch die Mittlerfunktion zwischen den in der IT hinterlegten Vorgaben und dem Kunden. Stehen etwa mehrere vorgeschlagene Produkte zur Auswahl, liegt es in seinem Ermessen, welches er dem Kunden als zu seinem Profil passend vorschlägt. Und er kann dem Kunden erklären, warum er welches Produkt empfiehlt, kann auf Kundeneinwände reagieren und Alternativen präsentieren. Das alles leisten automatische Online-Beratungstools allenfalls sehr begrenzt. Die Abschlussentscheidung, zu der ein Kunde im reinen Onlineprozess gelangt, wird in vielen Fällen die gleiche sein, wie sie es am Ende eines Beratungsgesprächs wäre. Doch mancher Kunde wird das gute Gefühl vermissen, eine Entscheidung getroffen zu haben, die ein Fachmann empfiehlt. Und an dieser Stelle behält der Berater trotz immer besser werdender Technik seine Funktion.

Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die aktive Kundenansprache. Natürlich wäre es technisch möglich, die Kundendatenbanken systematisch nach Anspracheanlässen zu durchforsten und daraufhin automatisiert Kommunikationsmaßnahmen anzustoßen. Doch hier werden die Möglichkeiten durch immer engere regulatorische Vorgaben begrenzt. So scheint es zwar sinnvoll, die Wartezeit am Geldautomaten zu nutzen, um den Kunden etwa auf Handlungsbedarf bei bestimmten Themen wie hohe Girokontoguthaben oder auslaufende Anlagen anzusprechen. Solange es allerdings passieren kann, dass eine Bank bereits dann ein Schreiben des Landesdatenschutzbeauftragen erhält, wenn es die Kunden am Geldautomaten nur mit Namen begrüßt, lassen sich diese technischen Möglichkeiten kaum nutzen. Social CRM (das automatische Übernehmen der aus den sozialen Netzwerken gewonnenen Informationen in die Kundendatenbanken) wirkt vor diesem Hintergrund fast nur wie ein schöner Traum. Mögen die Kunden ihre Seele auf Facebook auch noch so bloß legen - merkt eine Bank sich diese Äußerungen und ver sucht sie für ihr Marketing zu nutzen -, könnte allzu leicht die Hölle losbrechen. Erlaubt, so resümieren manche Marktteilnehmer resigniert, ist eigentlich fast nur noch das, was mit den höchsten Streuverlusten verbunden ist, das klassische Anschreiben per Post nämlich. An dieser Stelle kommt erneut der Berater ins Spiel: Die Einwilligung, den Kunden von Zeit zu Zeit per Mail oder Telefon zu kontaktieren, gibt der Kunde seinem persönlichen Ansprechpartner eher als einem anonymen Call-Center-Mitarbeiter oder gar per Coupon auf einem Anschreiben. Das setzt freilich Kontinuität in der Betreuung voraus.

Es bleibt also dabei - Vertrieb, Service und Beratung unterstützend ist die IT nicht mehr wegzudenken. Den menschlichen Faktor ersetzen wird sie aber niemals ganz. Die Überlegungen der Regulatoren, bestimmte Produkte künftig nur noch nach vorangegangener Beratung zum Vertrieb zuzulassen, schießen sicher über das Ziel hinaus. Sie zeigen aber die Richtung: Beratung wird immer stärker überwacht, gerade weil sie als unverzichtbar empfunden wird.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X