Zukunft des Vertriebs

Honorarberatung: ein "milder Kulturschock" ist zu begrüßen

Der Geist ist aus der Flasche, und das ist gut so: Noch nie zuvor wurde in Deutschland so intensiv über Finanzberatung diskutiert wie derzeit. Im Zuge der Finanzkrise hat sich herausgestellt, dass viele Bundesbürger Finanzprodukte gekauft haben, von denen sie nicht genug verstanden haben. Offenbar sind sie schlicht falsch beraten worden - von vermeintlich fachkundigen Finanzexperten, die möglicherweise selbst nicht so genau wussten, welche Risiken mit bestimmten Wertpapieren verbunden waren. Jedes Jahr, so schätzt eine Studie im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums, verlieren die Deutschen bis zu 30 Milliarden Euro durch mangelhafte Finanzberatung.

In normalen Zeiten würde man diese Zahlen wohl kritisch hinterfragen. Aber die Zeiten sind nicht normal. Jede Woche kommen derzeit neue Vorschläge auf den Markt, wie eine vernünftige Bankberatung in Zukunft auszusehen habe - wahlweise vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, aus der EU-Kommission, von Verbraucherschutz-Organisationen oder von Banken und Finanzberatern selbst. Mehr Transparenz wird gefordert. Kunden sollen erkennen, warum man ihnen bestimmte Produkte anbietet. Neue Protokollpflichten sollen zu mehr Disziplin in Beratungsgesprächen beitragen.

Allen voran aber steht die Forderung nach einem Preismodell, das eine faire Beratung gewährleistet. Dahinter steht der Verdacht, das derzeitige Provisionssystem verführe geradezu zu Fehlleistungen getreu dem Motto: Verkauft wird, was Provision bringt, ob es dem Kunden nun nutzt oder nicht. Ob dieser Generalverdacht berechtigt ist, sei dahingestellt, aber Aufklärungsbedarf besteht in jedem Fall: Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Comdirect wissen nur sieben Prozent der Deutschen, die sich in Finanzfragen schon einmal professionell beraten lassen haben, dass ihre Bank oder ihr Versicherungsvertreter Provisionen bekommen. Die übrigen glauben, Beratung sei kostenlos.

Beratungsmodell für Affluent-Kunden

Die Suche nach dem richtigen Honorarmodell bewegt derzeit die Branche. Dabei ist die Honorierung der Berater lediglich einer von mehreren Faktoren, die für eine gute oder schlechte Beratung maßgeblich sind. Was also macht eine gute Anlageberatung tatsächlich aus? Im Zuge ihrer Entwicklung zu einer Bank, die mit innovativen Beratungsformaten für ihre Kunden zur Erstbank werden will, fing die Comdirect Bank vor etwas mehr als zwei Jahren an, sich intensiv mit dieser Frage zu befassen - also vor Ausbruch der Finanzkrise. Die Vergütung stand dabei nicht einmal im Vordergrund. Als Direktbank mit Wurzeln im Direct Brokerage war ohnehin gesetzt, dass die Kosten niedrig und das Preismodell transparent sein müssen. Anders gewinnt man kritische, gut informierte und vergleichsweise wohlhabende Kunden nicht für eine Anlageberatung.

Oberstes Entwicklungsziel war es, die aus Onlinebanking und Online Brokerage rührende IT- und Wertpapierkompetenz zu nutzen, um Kunden eine objektive, systemgestützte Wertpapierauswahl und laufende Portfoliosteuerung anzubieten. Diese Kompetenz sollte nicht an Provisionen ausgerichtet sein, sondern mit den Vorteilen einer persönlichen, an den individuellen Wünschen und Möglichkeiten orientierten Beratung verknüpft werden. Im Ergebnis galt es, zwei Welten zusammenzubringen, die bislang weitgehend getrennt existierten.

Um mit dem Geschäftsmodell einer Direktbank kompatibel zu sein, sollte das Beratungsangebot nicht nur für wenige gutbetuchte Kunden attraktiv sein, sondern skalierbar sein und den typischen Affluent-Kunden ansprechen. Dieser verdient überdurchschnittlich gut, kennt sich in Finanzdingen aus, muss aber nicht alles selber machen. Er lässt sich gerne beraten, ist aber in der Lage, seinen Berater kritisch zu hinterfragen und Anlageentscheidungen selbst umzusetzen. Genau für diese hoch attraktive, aber anspruchsvolle Kundengruppe gab es bislang kein vernünftiges Angebot. Entweder mangelte es auf der Beratungsseite, oder die systematische Wertpapierauswahl, Portfolioanalyse und -steuerung ließen zu wünschen übrig. Viele Angebote im Markt sind zudem teuer.

Ende 2009 hat die Comdirect Bank die Anlageberatung Plus auf den Markt gebracht - nach Praxistests mit rund 400 freiwilligen Kunden. Für ein empirisch fundiertes Fazit ist es noch zu früh, aber die ersten Ergebnisse und Rückmeldungen lassen den Schluss durchaus zu: Mit dem Beratungsansatz ist ein großer Schritt nach vorne gelungen, und es erscheint möglich, dass hieraus ein neuer Standard in der Anlageberatung erwächst.

Insgesamt ist der Beratungsprozess in vier Schritte gegliedert. In einem intensiven Gespräch werden zunächst die individuellen Präferenzen des Kunden, seine Kenntnisse, Risikoaffinität und seine persönlichen Anlageziele erfasst. Daraus entwickeln Kunde und Berater die grundsätzliche Anlagestrategie, die fortan verfolgt werden soll. Zum Beispiel werden Vorlieben für bestimmte Assetklassen vereinbart, können Anlagen in bestimmten Währungsräumen ausgeschlossen oder einzelne Wertpapiere und Wertpapierarten festgelegt werden.

In dieses Gespräch fließen auch Informationen ein, die nur mittelbar mit der Wertpapierallokation zu tun haben, beispielsweise ob und wann der Kunde auf bestimmte liquide Mittel angewiesen sein wird, etwa weil sich die Lebensumstände ändern (Hauskauf, Elternschaft).

Erstberatung mit Portfolioanalyse

Im zweiten Schritt werden die Anforderungen und Präferenzen in ein Softwaresystem eingefüttert, um ein für den Kunden optimales Portfolio zusammenzustellen - die Basis für die künftige Beratung und alle nachfolgenden Handlungsempfehlungen. Hierbei greift das System auf rund 3 000 Wertpapiere zu. Der Schwerpunkt im Anlageuniversum liegt auf Fonds, ETF-Indexfonds, ETCs, Aktien und Renten. Zudem werden Tages- und Festgeldpositionen bei der Portfoliosteuerung berücksichtigt. Mit dieser Vorauswahl ist zweierlei gewährleistet: Erstens kann fast jede für den normalen Anleger sinnvolle Anlagestrategie mit einer hinreichend großen Zahl von Titeln abgebildet werden. Zweitens wird durch den bewussten Verzicht auf Zertifikate und Optionsscheine sichergestellt, dass Kunden keine für sie schwer verständlichen Hebelprodukte mit unabsehbaren Risiken für ihr Gesamtportfolio halten. Wichtig zu wissen: In der Erstberatung vereinbaren Kunde und Berater, wie häufig der Kunde im Regelfall über die Zusammensetzung seines Portfolios neu entscheiden möchte. Damit begegnet Anlageberatung Plus dem jeder banknahen Anlageberatung häufig entgegengebrachten Verdacht, viele Berater wollten ihre Kunden dazu animieren, möglichst viel zu traden - um so der Bank hohe Provisionseinnahmen zu sichern. Abhängig von der vereinbarten Anlagestrategie und Intensität wird der Kunde einem festen Beraterteam zugeordnet, das ihm zur Verfügung steht - börsentäglich zwischen acht Uhr und 20 Uhr. Diese Teamlösung sorgt neben der hohen Erreichbarkeit dafür, dass der Kunde jeweils auf Experten für komplexere Fragestellungen zugreifen kann, die zugleich mit seiner Anlagestrategie vertraut sind. Alle Berater sind fest angestellt. Ihr Gehalt bemisst sich nicht an Vertriebsprovisionen oder Handelsaktivitäten ihrer Kunden. Sie erhalten zwölf monatliche Festgehälter, sowie ein 13. Gehalt, das sich an der Zufriedenheit ihrer Kunden misst. Dass diese Teamlösung eine gute Alternative zur Betreuung durch einzelne Berater ist, wissen wir von Testkunden.

Laufende Portfolioüberwachung: unbestechliches System

Die laufende Portfolioüberwachung ist Sache eines hochentwickelten Softwaresystems. Was bisher keine Anlageberatung bieten konnte, wird nun zum Standard: Börsentäglich werden alle Kundendepots daraufhin geprüft, ob sie noch innerhalb der im Rahmen der Anlagestrategie festgelegten Leitplanken liegen. Die Software verarbeitet hierfür Trendsignale sowie weitere verfügbare Informationen zu einzelnen Titeln, um eine risikooptimierte Portfoliostruktur zu gewährleisten.

Menschliche Fehlerquellen bei Asset-Auswahl und -Allokation sowie bei den daraus resultierenden Empfehlungen werden so weitgehend ausgeschlossen. Zeigen die Analysen Handlungsbedarf, bekommt der Kunde eine konkrete Handlungsempfehlung in seine elektronische Postbox und einen Telefonanruf, in dem er mit seinem Berater besprechen kann, ob er darauf eingeht und gegebenenfalls Papiere kauft oder verkauft.

Der vierte Schritt im Beratungsprozess ist die regelmäßige Überprüfung der Anlagestrategie. Mindestens zweimal im Jahr wird dabei in einem persönlichen Gespräch eruiert, ob sich grundsätzliche Einstellungen verändert haben und die Anlagestrategie angepasst werden sollte - mit entsprechenden Folgen für die Zusammensetzung des optimalen Portfolios und der darauf abzielenden laufenden Empfehlungen. Gerade in der Kombination von persönlichem Gespräch und softwaregestützter Analyse zeigt sich die Überlegenheit des Beratungskonzepts. Der Berater ist als Bindeglied zwischen Software und Kunde unerlässlich. Nur er kann gezielt nachfragen, subjektive Aspekte ins Blickfeld holen und die Wünsche des Kunden mit den Empfehlungen des Systems in Einklang bringen.

Keine versteckten Provisionen

Damit so ein Angebot funktioniert, darf der Berater nicht von der Aussicht auf Provisionen beeinflusst werden. Deshalb verzichtet Anlageberatung Plus auf Verkaufsprovisionen. Vertriebsfolgeprovisionen der Produktanbieter werden komplett an den Kunden zurückgegeben. Es gilt: keine versteckten Provisionen.

Stattdessen hat die Bank ein einfaches und vor allem günstiges Preissystem entwickelt. Der Kunde zahlt pro Monat 0,05 Prozent auf das durchschnittliche Portfoliovolumen, mindestens 24,90 Euro. Hinzu kommen die üblichen Transaktionsgebühren. Wer über ein Depot von im Jahresdurchschnitt 100 000 Euro verfügt, zahlt im Jahr 600 Euro für die Beratung. Bei einer Performance von etwas mehr als 0,6 Prozent hat er die Kosten bereits wieder eingespielt. Dabei sind Rückvergütungen von Vertriebsprovisionen noch nicht einmal eingerechnet - sie können die Kosten leicht um mehrere hundert Euro senken.

Zum Vergleich: Wer bei einer Sparkasse für 100 000 Euro Fonds kauft, zahlt bei fünf Prozent Ausgabeaufschlag allein 5 000 Euro Provision. Als Kunde von Anlageberatung Plus könnte er sich hierfür sechs Jahre lang beraten lassen. Und dabei wären sogar die Ordergebühren für die 100 000 Euro bereits enthalten.

In der Summe vereint der neue Beratungsansatz damit Vorteile, die es in dieser Kombination bislang auf dem Markt nicht gab:

Aus der Beratung heraus wird eine auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene Anlagestrategie entwickelt.

Der Kunde selbst bestimmt nachfolgend die Kontakthäufigkeit.

Statt eines einzelnen Beraters steht ein Team von Experten zur Seite, das mit seiner Strategie vertraut und ständig erreichbar ist.

Das Beratungshonorar enthält keine versteckten Provisionen.

Die Produktempfehlungen erfolgen anbieterunabhängig und werden von einem System generiert, an dessen Kapazitäten kein noch so kompetenter Stockpicker herankommt.

Das Portfolio wird laufend überwacht, Handlungsempfehlungen erfolgen zeitnah.

Ob Anlageberatung Plus einen neuen Standard in Sachen Anlageberatung setzt, muss der Markt entscheiden. Das Potenzial ist jedenfalls vorhanden. Marktanalysen zeigen, dass es in Deutschland deutlich mehr als fünf Millionen Kunden gibt, die für eine Anlageberatung rund um Wertpapiere Interesse zeigen. Sie betreiben ihre Bankgeschäfte längst online, verfügen über die nötigen finanziellen Möglichkeiten und haben bereits erste Erfahrungen mit Anlageprodukten gesammelt. Es sind diese Kunden, auf die das Beratungsformat zugeschnitten wurde. Die Resonanz der bisherigen Kunden zeigt, dass die Comdirect Bank hier den richtigen Weg eingeschlagen hat.

Auch weiterhin wird es Kunden geben, die auf die Anlageberatung in ihrer Filialbank schwören und diese nicht missen wollen - genauso wie es Kunden gibt, die mit Onlinebanking nicht warm werden. Gleichwohl: Über kurz oder lang werden sich wahrscheinlich auch die Erwartungen an die Anlageberatung der Banken und Sparkassen verändern - vielen Kunden ist heute noch nicht bewusst, was möglich ist, wenn nur die richtigen Bausteine sinnvoll zusammengefügt werden. Gut möglich, dass es sich dabei ähnlich verhält wie mit Onlinebanking und Online Brokerage: Als Mitte der neunziger Jahre die ersten wirklich leistungsfähigen Plattformen entstanden, galten sie als Nischenlösung für eine kleine, spezielle Kundenschar. Inzwischen sind Onlinebanking und Online Brokerage Standardleistungen. Dass viele Banken diesen Trend zu spät erkannt haben, hat sie bis heute viele Kunden gekostet. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist der milde Kulturschock, der von dieser neuen Art der Anlageberatung ausgehen kann, durchaus zu begrüßen. Wie man Kunden darin berät, ein Vermögen zu bilden beziehungsweise ihr Vermögen zu mehren, ist schließlich eine der gesellschaftspolitisch sensibelsten Fragen. Es geht um die Altersvorsorge und damit um die Zukunftsperspektiven und Risikodispositionen vieler Menschen, zugleich geht es um eine dem Markt angemessene Steuerung und Regulierung, die nicht sämtliche Finanzinnovationen durch übertriebene Risikoabwehr stranguliert. Derzeit ist die Finanzbranche schwer in der Defensive und steht unter dem Generalverdacht, sich in diesem Spannungsfeld eben nicht verantwortungsbewusst zu ver halten. Anlageberatung Plus zeigt, dass es auch anders geht und ist damit durchaus als ein Beitrag zu einem insgesamt besseren Anlegerschutz und zur Demokratisierung von Anlageberatung zu verstehen. Vielleicht ein Beitrag mit Signalwirkung.

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