Leitartikel

Wo ist die Mitte?

ho - Ein wenig fühlt man sich an das täglich grüßende Murmeltier erinnert: Seit Jahrzehnten schon wollen Kreditinstitute und Finanzdienstleister den Kunden "in den Mittelpunkt" ihrer Strategie stellen, sei's im Vertrieb, bei der Produktkonzeption oder bei den angebotenen Dienstleistungen. Da verwundert es nicht, dass als vorrangige Lehre aus der Finanzkrise das ursprüngliche Publikumsgeschäft weiterhin beziehungsweise wieder tragende Säule des Bankwesens sein muss. Gut drei Viertel der hiesigen Banken sehen im Privatkundengeschäft ihr Haupttätigkeitsfeld, hat eine Studie unlängst herausgefunden, etwas weniger als ein Fünftel im Firmenkundengeschäft. Angesichts der Verteilung in 55 Prozent Genossenschaftsbanken, 20 Prozent Sparkassen und zwölf Prozent Groß- und Kreditbanken ist das keine Überraschung. Kundenbeziehungsmanagement, dessen zeigt man sich zunächst erfreulich bewusst, muss darum die wichtigste Maßnahme zur Überwindung der gegenwärtige Vertrauenskrise sein. Kostensenkung und -effizienz gilt es zwar weiterhin nicht zu vergessen, auch 2010 ff. wird der Privatkunde preissensitiv bleiben. Die augenscheinlich stärkere Konzentration auf das Kerngeschäft mutet aber erfrischend an: Sechs von zehn Bankmanagern halten es demnach für nicht erforderlich, in neue Geschäftsbereiche vorzustoßen, das sind deutlich mehr als im Vorjahr. Auf der Absatzseite erwarten die Institute von der persönlichen Beratung und dem Verkauf in der Filiale weiterhin die höchsten Wertschöpfungsbeiträge.

Trotz dieses scheinbaren "neuen Bewusstseins" bleibt die Frage: Warum befindet sich der Bankkunde strategisch immer noch nicht in jener so penetrant angestrebten, aber offensichtlich wenig fassbaren Mitte? Sind es die Verlockungen des schnellen Geldes in anderen Geschäftsbereichen, die für zu viel Ablenkung sorgen? Zu sehr war man allzu oft mit diesen beschäftigt und zu wenig mit der eigentlichen Erbringung von Dienstleistungen. Die neuen Zielgrößen hießen Eigenkapitalrendite, Bilanzsumme, Marktkapitalisierung. Vielleicht hat man sich obendrein ab und an beim Wettbewerb um den Kunden in ein gegenseitiges Übertrumpfen verrannt. Die mit zahlreichen Sternchen und Fußnoten versehenen "Lockangebote" als traurige Zeugen davon vertragen sich jedenfalls kaum mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Gleichbehandlung. Geschuldet zugleich diesen Marktentwicklungen und den Verwerfungen der letzten Monate herrscht nun offenbar gehörige Unsicherheit, bei Kunden wie auch bei den Instituten selbst. Denn zum einen steht das Risikomanagement - auch im Sinne einer Vergangenheitsbewältigung - post-Krise ganz oben auf der Liste der Herausforderungen. Erst wenn hier deutliche Verbesserungen erreicht wurden, so scheint es, will man sich auf neue Kunden einlassen. Trotz erster Anzeichen eines steigenden Preisdrucks kann es also kaum verwundern, dass der Aspekt Vertriebsverbesserung gegenüber dem Vorjahr deutlich an Bedeutung verloren hat.

Traurige Konsequenz der Abwartehaltung: Marktforschung und - viel wichtiger noch - Personalentwicklung kommen trotz der spätestens durch die Krise offenbarten Defizite viel zu kurz. Nicht einmal einer von zehn der von Steria Mummert und FAZ-Institut Befragten nannte diese jeweils als notwendige Maßnahmen. Dabei ist man sich doch eigentlich einig, dass sich Kunden nur durch gute Betreuung gewinnen und halten und Produkte ausreichend erklären lassen - Stichwort: Zertifikate. Dazu braucht es aber geschulte Mitarbeiter. Das Internet wird auf absehbare Zeit nur eine Zusatzdienstleistung bleiben können, besonders für komplexere Produkte. Und apropos Komplexität: Solange in den Instituten noch keine Investitionsbereitschaft herrscht, wäre es sicherlich ein guter Ansatz, bestehende Produkte und Verfahrensweisen zu überarbeiten: Wenn ein reger E-Mail-Verkehr notwendig ist, um dem Kunden selbst ein per se simples Produkt wie etwa einen (Altersvorsorge-)Sparplan verständlich zu machen und ihm die AGB unkommentiert auf CD oder USB-Stick in die Hand gedrückt werden, dann mag das zwar dem Berater das Schleppen riesiger Papierberge ersparen. Der Weg in die Mitte ist dann aber sowohl von der Produkt- wie auch der Serviceseite her doch noch recht weit.

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