Leitartikel

Stationen und Orientierungen

KO - Ob der Mensch in dem Sinne lernfähig ist, dass er durch Erfahrung
klüger wird, darf als etwas ungewiss gelten: Politische, ökonomische
und durchaus auch persönliche Fehlentscheidungen folgen einfach zu
dicht aufeinander, um von zweifelsfreier Wirksamkeit eines
Lernprozesses auszugehen. Vielleicht spielt dafür eine entscheidende
Rolle, dass der Homo sapiens im Gegensatz zu den wütenden Einzellern
im derzeitigen Bestseller "Der Schwarm" seine Erkenntnisse leider
nicht direkt vererben kann, dass also bei uns jede Generation wieder
von vorne anfangen muss. Und möglicherweise hat sie es dabei auch noch
schwerer als jede vorhergehende, weil der ganze Wust des
aufgeschriebenen oder sonst wie gespeicherten Wissens immer höher
wird. Aber dazu wird ja auch schon wieder behauptet, wir wüssten
mitnichten grundsätzlich mehr als Väter und Großväter, nur etwas
anderes. Retail einst und jetzt?
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Im Schwerpunkt dieser "bank und markt"-Ausgabe stehen mindestens vier
Themen, mit denen sich der Deutschbankier Ulrich Weiss so beschäftigt
hat, dass sie die Entwicklung der Kreditwirtschaft in Deutschland über
das Blaue Haus hinaus beeinflussten: das Bankmarketing und die
Hinwendung zum breiten Publikumsgeschäft, der Zahlungsverkehr und die
Kartenszene, die technische Industrialisierung des Bankbetriebs sowie
die Personalpolitik, weg vom Bankbeamtentum.
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Als Bankmarketing vor rund vierzig Jahren zum modischen
Hoffnungsträger eines "neuen" Bankgeschäfts wurde, damit die schnell
wachsende Kaufkraft des Konsumenten doch bitteschön nicht "an den
Banken vorbei" ihre Wege suchen sollte, probierte man eine Art
Praxis-Transfer: Wie viel vom Marktauftritt des Handels könnte der
"verkaufsorientierte" Bankbetrieb möglichst schnell übernehmen? Ulrich
Weiss ermahnte die höchst expansiven Kollegen dann allerdings zu
Ordnung. Aus Marketingleuten mussten endlich Banker werden, schrieb
er.
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Vielleicht aber ist diese Empfehlung - rückblickend - zu erst genommen
worden. Jörg Cramer jedenfalls merkt im folgenden an, dass sowohl die
Intensität als auch der Umfang, mit dem sich deutsche Kreditinstitute
ums Retail kümmerten, sozusagen auf halbem Weg stecken geblieben sind,
weil die Banker eben nicht wie Tchibo, Lidl oder Penny ihre
Zielgruppen, ihre Sortimente und ihre Wege konsequent weiter
sensibilisierten. Und Jan Hendrikx weint bis heute entgangenen Chancen
bei den Karten nach. Alles "bankmäßige" Versäumnisse?
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Nicht einmal eine richtige Generation lang hat es gedauert, bis
Hermann-Josef Lamberti die Technik in seinem Bankbetrieb als eine
selbstverständliche Alltäglichkeit beschreiben konnte. Wenn man leicht
fahrlässig vereinfacht, heißt dies: Niemand kommt heute mehr auf die
Idee, den Einsatz der Platten, Rechner, Schirme und Kabel als eine
"Entpersönlichung" von Arbeits- und Kundenbeziehungen zu beklagen,
sondern jeder giert nur noch danach, über die ganze Elektronik immer
noch besser verfügen zu können. Und während in "bank und markt" früher
gerne zwischen Back Office und Front Office unterschieden worden ist,
wird doch heute die Qualität der Institution Bank gerade daran
gemessen, wie eng sich Back und Front als Einheit präsentieren lassen.
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Trotzdem oder gerade deswegen gibt es ein Weiss-Titat, das sogar die
Investment Banker von heute verwenden können: "Banking is People".
Bevor jedoch jemand diesen ewigen Satz als echten Trost pflegt, fügt
die aktive Vorstandsgeneration hinzu: "Banking is people with a laptop
in a global network." - Die Redaktion gratuliert ihrem langjährigen
Herausgeber, Autor, Redner herzlich zum Geburtstag.

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