Customer Empowerment

Die Rolle des Kunden hat sich verändert und auch in der Finanzdienstleistungsbranche ist eine Machtverschiebung hin zum Kunden beobachtbar. Wurde der Kunde früher als reiner Dienstleistungsempfänger (passiv) gesehen, wird er heute als aktives Subjekt immer stärker in die unternehmerische Wertschöpfungskette einbezogen. Kunden figurieren ihre Leistungsfeatures selbst, sind an der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen beteiligt ("co-designer") und akquirieren sogar neue Kunden. Massiv kann man diese Veränderung bei der Selbstbedienung erkennen. Dazu zählt etwa das Online-Buchen von Flügen oder bei Bankgeschäften das Durchführen von Überweisungen oder Aktienkäufen.

Kunden können unterschiedlich tief in den Produktionsprozess eingebunden werden, um Wahlmöglichkeiten und Optionen zu erhöhen. Die stärkste Form des Customer-Empowerment-Ansatzes stellt die Leistungspersonalisierung aufgrund der Kundenwünsche auf Massenmärkten ("mass customization") dar. Bei dieser Extremform der Leistungsindividualisierung können Kunden ihre Computer, Autos, Kosmetikprodukte und Investment-Portfolios selbst konfigurieren. Das "Choice-Board", ein interaktives Online-System erlaubt es Kunden, ihre Produkte und Leistungen aus einer Vielzahl von Komponenten zusammenzustellen.

Parallel mit dieser stärkeren Einbindung in die Wertschöpfungskette ist durch das Internet auch ein besserer Marktüberblick gegeben. Kunden gelangen heute viel leichter zu Informationen über Unternehmen und ihre Produkte, Dienstleistungen und Preise, können diese mit Konkurrenzangeboten vergleichen und sich sogar die Erfahrungen und Bewertungen anderer Kunden anschauen, was ihre Machtposition stärkt.

Alle Macht den Kunden

Diesen Entwicklungen folgend, hat sich in der Literatur das Schlagwort "Customer Empowerment" etabliert, das die Machtverschiebung in Richtung Konsumenten beschreibt. Customer Empowerment versteht sich als Ermächtigung von Kunden im Sinne eines gestiegenen Grads der wahrgenommenen Kontrolle von vorkauf-, kauf- und nachkaufbezogenen Aktivitäten. Der Leitgedanke dieser Machtverlagerung in Geschäftsbeziehungen hin zum Kunden lässt sich mit "(Fast) Alle Macht den Kunden" umschreiben.

Kunden erleben das Gefühl, eine (kognitive) Kontrolle in einer geschäftsbezogenen Situation zu haben, zumeist positiv, weil das wahrgenommene Risiko sinkt. Steigende Entscheidungsbefugnisse werden aber nur dann positiv wahrgenommen, wenn sich der Kunde dazu fähig fühlt. Unternehmen müssen daher für eine entsprechende Qualifizierung der Kunden sorgen.

Dazu können verschiedene Instrumente eingesetzt werden. Wichtig sind neben den Produktinformationen die Prozessinformationen, zum Beispiel durch die Einrichtung von Checkpoints wie Order Tracking-Verfahren, an denen der Kunde den aktuellen Stand der Bearbeitung einsehen kann. Für den Fall, dass Probleme auftreten, ist ein Ansprechpartner zu definieren. Von Finanzdienstleistern werden für Kunden auch Seminare angeboten, die sich zum Beispiel mit Aspekten von Anlage und Finanzierung auseinandersetzen. Das kann auch in Form von Online-Trainings erfolgen, die die Teilnahme zu einem beliebigen Zeitpunkt ermöglichen.

Customer Empowerment kann vor allem im Hinblick auf die Kostensituation und das Innovations- und Qualitätsmanagement zu positiven Wirkeffekten führen. Die Kosteneinsparungen können durch Entlastung des Customer Support Center beziehungsweise Callcenters erzielt werden. Durch die Etablierung von Kundenforen kann zusätzlich kostenlose Mund-zu-Mund-Propaganda im Internet erzielt werden. Ein weiterer wichtiger Nutzen liegt im Innovations- und Qualitätsmanagement. Durch den höheren Grad der Selbstbestimmung und den positiven Leistungsbeitrag des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen kann es sogar zu einer Steigerung der Kundenzufriedenheit und höherer Loyalität kommen.

Nicht ohne Risiken

Neben den genannten Vorteilen gibt es einige Risiken. So können besser informierte Kunden besser verhandeln und einen Preisdruck auf den Anbieter ausüben. Daneben trifft der Kerngedanke, dass Kunden höhere Selbstbestimmung wünschen und darin eine Nutzensteigerung sehen, nicht für alle Kunden und Situationen zu. Die Grenzen des Konzepts liegen dort, wo eine Verunsicherung eintritt. Daher muss sich jedes Unternehmen genau überlegen, wie viele Wahlmöglichkeiten und Information der Kunde verträgt, um Stress und Frustration durch Überforderung zu vermeiden. Beim Customer Empowerment ist daher auf Einfachheit und Reduktion zu achten.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

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