Anlageberatung

1 000 Tage Beratungsprotokoll - ernüchternde Bilanz

"Viel Papier für die Tonne" - so bewertete die Stiftung Warentest im April 2010 den Erfolg der Beratungsprotokolle, die vier Monate zuvor eingeführt worden waren. Anderthalb Jahre später fällt das Urteil nicht besser aus: Jedes zweite Beratungsprotokoll ist fehlerhaft und muss manuell nachbearbeitet werden. Der Grund: Die Protokolle werden häufig nicht mittels integrierter IT-Systeme erstellt und sind vom eigentlichen Beratungsprozess abgekoppelt. Dieses isolierte Vorgehen kostet Zeit und begünstigt Fehler. Dies ist das Ergebnis einer Marktbeobachtung von Nielsen+Partner.

Die Idee, die hinter den am 1. Januar 2010 eingeführten Beratungsprotokollen steckt, hat durchaus Charme: Das Anlagegespräch wird dokumentiert. Dadurch wird sichergestellt, dass der Berater den Kunden auf sämtliche Risiken des verkauften Finanzprodukts hingewiesen hat. Dies soll den Anleger schützen, da dieser im Ernstfall Ansprüche wegen Falschberatung vor Gericht leichter durchsetzen kann.

Dass aus dieser guten Idee kein Erfolg wurde, liegt zu großen Teilen an ihrer Umsetzung durch die Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland. Denn auch zwei Jahre nach der Einführung betrachten die Institute Beratungsprotokolle eher als lästige Pflicht denn als willkommene Kür. Statt sie in den Beratungsprozess einzubinden, versuchen sie, die regulatorischen Anforderungen mit möglichst wenig Aufwand zu erfüllen. Oftmals werden die für das Protokoll notwendigen Daten auf Papier oder beschreibbaren PDF-Dokumenten erhoben, eine standardisierte Vorgehensweise gibt es nur in wenigen Fällen.

Dieses Vorgehen hat zur Folge, dass die Berater mit der Anfertigung der Beratungsprotokolle oft allein gelassen werden. Das bindet wertvolle Arbeitszeit, die besser in die Beratung investiert wäre. Denn die Protokolle werden in vielen Fällen manuell in die IT-Systeme übertragen. Dies ist auch eine der häufigsten Fehlerquellen, wie die Marktbeobachtung von Nielsen+Partner zeigt. Darüber hinaus wächst bei diesem Prozess der Druck auf die Berater. Diese müssen dafür Sorge tragen, dass das Beratungsprotokoll die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen erfüllt. Tut es das nicht, drohen dem Einzelnen Konsequenzen durch die BaFin, die bis zum Berufsverbot reichen können.

Berater stehen unter Druck

Um sich gegen diese Gefahr abzusichern, vermeiden viele Berater Produkte, die mit einem hohen Risiko und somit einem hohen Aufklärungsbedarf verbunden sind. Oder sie verwenden schwammige Begriffe in den Protokollen, die viel Raum für Auslegungen lassen und deshalb nur schwer vor Gericht angreifbar sind. Letzteres führt dazu, dass die Beratungsprotokolle in den Ruf kommen, sie dienten vor allem der Absicherung des Beraters und nicht des Kunden. Auch die Praxis vieler Geldhäuser, das Protokoll vom Kunden unterschreiben zu lassen, verstärkt diesen Eindruck. Denn mit seiner Unterschrift akzeptiert der Kunde die Inhalte des Protokolls und hat so später weniger Chancen, Fehler in der Beratung geltend zu machen.

Auch das Ergebnis einer Studie der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist ernüchternd. Sie hat zwischen September 2011 und Februar 2012 50 Anlageberatungen bei 50 Banken untersucht. Das Fazit der Verbraucherschützer: Sämtliche Beratungen weisen Fehler auf. Kein einziges Institut hat sämtliche Angaben des Kunden zu seiner Risikoneigung berücksichtigt. Darüber hinaus waren die Formulierungen meist allgemein und ungenau gehalten. Nur eine Bank hat die Vermögenssituation des Kunden im Protokoll berücksichtigt. Mehr als die Hälfte hat zudem die Einnahmen und Ausgaben falsch dokumentiert oder gar nicht erst in das Beratungsprotokoll aufgenommen. Die Kosten für die empfohlenen Anlageprodukte wurden nur in 29 Prozent der untersuchten Protokolle ausgewiesen.

Weder für Kunden noch für Kreditinstitute ein Erfolg

Das Urteil nach zwei Jahren Beratungsprotokoll fällt entsprechend vernichtend aus. Weder für die Kunden noch für die Kreditinstitute sind die Dokumentationspflichten ein Erfolg. Schlimmer noch: Sie führen dazu, dass die Gräben zwischen beiden Lagern eher größer geworden sind als kleiner.

Denn die Berater stöhnen wegen der gestiegenen bürokratischen Last, die weniger Zeit für die Beratung lässt.

Und die Kunden sind skeptischer gegenüber ihrer Bank, Sparkasse oder Genossenschaftsbank geworden, weil sie das Gefühl haben, dass diese sich mit dem Beratungsprotokoll ein zusätzliches Instrument der Absicherung geschaffen haben, das keine Vorteile für die Verbraucher hat.

Vorteile erkennen und nutzen

Ist die Idee des Beratungsprotokolls also gescheitert? Nein. Allerdings muss deren Ausrichtung grundlegend geändert werden. Kreditinstitute sollten die Dokumentationsvorgaben nicht als lästige Pflicht begreifen, sondern die Vorteile des Beratungsprotokolls erkennen und für sich nutzen.

Vorteil 1: Vertrauen gewinnen: Finanzdienstleistungen sind Vertrauensgüter. Denn zwischen dem Abschluss des Produkts und der tatsächlichen Leistung vergehen nicht selten viele Jahre. Dies ist zum Beispiel bei Fonds für die Altersvorsorge der Fall. Das heißt, dass der Kunde bei Produktabschluss darauf vertrauen muss, dass der gewünschte Erfolg eintritt.

Vertrauen wiederum wird durch eine persönliche Beratung erzeugt. Nur wenn ein Kunde das Gefühl hat, optimal beraten worden zu sein, wird er sich auch das nächste Mal wieder an seinen Berater wenden. Für die Qualität der Beratung spielen auch die Protokolle eine Rolle - allerdings bislang eine vorwiegend negative. Um dies zu ändern, sollten Kreditinstitute ihre Berater stärker bei der Erstellung der Beratungsprotokolle entlasten. Dadurch haben diese mehr Zeit für das Gespräch mit dem Kunden. Darüber hinaus sollten die Protokolle verständlicher formuliert und übersichtlicher aufgebaut werden.

Im Ergebnis werden die Inhalte der Beratung und die empfohlenen Produkte für den Kunden transparenter. Er kann nachvollziehen, warum ihm ein Produkt empfohlen wurde und wie dieses zu seiner Risikoneigung und seinen Anlagezielen passt. Der Kunde muss also nicht mehr befürchten, dass ihm ein Produkt nur deshalb verkauft wurde, weil es dem Berater die höchste Provision einbringt. Dadurch wird das Vertrauen gegenüber dem Berater gestärkt.

Vorteil 2: Kundenkenntnis erhöhen: Beratungsprotokolle bieten einen wahren Schatz an Informationen. Wie ist die persönliche Situation eines Kunden? Was war der Grund für das Beratungsgespräch? Welche Anlageziele verfolgt er? Welches Risiko ist er bereit einzugehen? Schon diese gesetzlichen Mindestvorgaben liefern wichtige Erkenntnisse für den Vertrieb. Denn Kreditinstitute bekommen damit ein genaues Stimmungsbild, das Grundlage sein kann für Zielgruppenanalysen und Marktanalysen. Wie ist zum Beispiel die durchschnittliche Risikoneigung der 30- bis 40-jährigen Kunden? Welche Produkte werden von dieser Gruppe bevorzugt? Wie reagieren sie auf die Empfehlungen des Beraters?

Als eine Art ständige Marktforschung liefern Beratungsprotokolle Antworten auf diese und weitere Fragen. Die Geldhäuser haben somit ständig ein Gefühl für die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden. Diese Erkenntnisse können dann mit dem verfügbaren Beratungs- und Produktangebot abgeglichen werden.

IT-gestützte standardisierte Prozesse

Bislang jedoch werden die Dokumente und damit das Wissen um die Kunden oft in isolierten IT-Systemen abgelegt. Damit steht das darin enthaltene Wissen nicht für die Beratung zur Verfügung.

Wie aber können Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken diese Vorteile in der Praxis nutzen? Die Antwort liegt in einem IT-gestützten, standardisierten Prozess zur Erstellung des Beratungsprotokolls während der Beratung. Durch die computergestützten Eingaben ist keine manuelle Übertragung in die IT durch den Berater mehr notwendig. Das spart Zeit und verringert eine der häufigsten Fehlerquellen. Die Pflichtangaben des Beratungsprotokolls sind dabei Teil des standardisierten Beratungsgesprächs. Der Kunde merkt deshalb im Idealfall gar nicht, dass der Berater das Protokoll anfertigt. Nach dem Gespräch kann der Berater das Protokoll sofort ausdrucken, unterschreiben und dem Kunden überreichen.

Einbindung in die CRM-Systeme

Wichtig dabei ist, dass die vom Kunden gemachten Angaben unmittelbar für das Kundenmanagementsystem (CRM) verfügbar gemacht werden. So stehen die Daten für die systematische Auswertung durch den Vertrieb zur Verfügung. Dadurch lassen sich Kundenmuster bilden und konkrete Anlagevorschläge erstellen, die dem individuellen Risikoprofil angepasst werden. Darüber hinaus lassen sich Verletzungen der vom Kunden vorgegebenen Anlagegrenzen feststellen, zum Beispiel indem Angaben aus dem Beratungsprotokoll im CRM sowie dem aktuellen Bestand des Kunden mit realen Kursdaten abgeglichen werden. Schwanken die Kurse zu stark oder überschreiten sie festgelegte Grenzen, schlägt das System Alarm. So können Verstöße jederzeit überprüft werden.

Auch der Berater profitiert von der CRM-Einbindung der Kundenangaben. Denn er kann als Vorbereitung auf das nächste Gespräch sämtliche Aussagen des letzten Gesprächs überprüfen. So kann er den Kunden auf dessen Äußerungen und Wünsche ansprechen und beim neuen Gespräch entsprechende Produkte und Dienstleistungen anbieten. Dies erzeugt ein hohes Maß an persönlicher Nähe und Vertrauen.

Fragenkatalog entwerfen

Um die für das Beratungsprotokoll notwendigen Angaben in das Gespräch einbinden zu können, ist eine Mischung aus standardisierten und individuellen Fragen notwendig. Denn der Kunde darf nicht das Gefühl bekommen, dass sein Gegenüber ihm nur die Fragen, die am Bildschirm angezeigt werden, vorliest. Gleichzeitig muss jedoch gewährleistet werden, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Dokumentation eingehalten werden.

Hier sollten die Kreditinstitute im Vorfeld einen Fragenkatalog entwerfen, der sich an den Verlauf des Beratungsgesprächs anpasst. Ist zum Beispiel die Risikoneigung beim Kunden hoch und die gewünschte Anlagedauer gering, kann das System Derivate als eine mögliche Anlageform empfehlen. Dafür wiederum sind weitere Fragen notwendig, die bei einer Geldanlage in Unternehmensanleihen entfallen würden.

Schon bei dem Entwurf der Fragen muss auf die Einhaltung der Mindestanforderungen an die Dokumentationspflicht geachtet werden. Dem Berater gibt dieses IT-gestützte Vorgehen die Sicherheit, jederzeit alle gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Dadurch kann er sich voll und ganz auf die Beratung der Kunden konzentrieren.

Perspektivisch können IT-Systeme, in denen Informationen aus den Beratungsgesprächen erfasst und ausgewertet werden, sogar in das Onlinebanking integriert werden. Dadurch würden sich Kreditinstitute einen zusätzlichen Vertriebskanal für das Anlagegeschäft schaffen. Doch dies ist noch Zukunftsmusik.

Immerhin gibt es bereits einige Geldhäuser, in denen die Angaben der Beratungsprotokolle in den IT-gestützten Beratungsprozess eingebunden werden. Damit konnten sie ihre Fehlerquote massiv reduzieren. Allerdings nutzt kaum eine Bank, Sparkasse oder Genossenschaftsbank die im Beratungsprotokoll enthaltenen Daten, um ihren Vertrieb zu optimieren. Es ist höchste Zeit, dass sich dies ändert. Kreditinstitute sollten die Dokumentationsvorgaben nicht als lästige Pflicht sehen, sondern als Chance für sich und den Kunden. Dann kann das Beratungsprotokoll zwei Jahre nach seiner Einführung doch noch zum Erfolg werden.

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