Personal

Führungsbarometer: Mitarbeiter als Feedback-Geber

Die Sparkasse Gießen hat vor geraumer Zeit einen umfassenden Prozess zur Fortentwicklung der Unternehmenskultur eingeleitet. Seinerzeit wurde ein Stärken-/Schwächenprofil gezeichnet; mit dem Ziel, die Stärken auszubauen und die Schwächen abzustellen. Wichtig war, die Schwächen und Stärken des Unternehmens möglichst zuverlässig zu erkennen. Hierfür wurde ein sogenannter "Business-Dialog" initiiert.

Die Mitarbeiter hatten dabei Gelegenheit, in einem geschützten Bereich den Vorstandsmitgliedern ihre Wünsche, Anregungen und Befindlichkeiten mitzuteilen. Geschützt bedeutet, dass kein Mitarbeiter Repressalien befürchten muss, wenn er sich offen äußert. Der Business-Dialog fand in mehreren Runden statt. Jeweils ein Vorstandsmitglied hat sich einer Mitarbeitergruppe von etwa 40 Teilnehmern gestellt, die ihre jeweiligen Sichtweisen vortrugen. Dabei kam es nicht darauf an, ob die Schwachpunkte im Unternehmen objektiv betrachtet zutrafen. Wichtig war vielmehr, dass zunächst einmal alle Standpunkte zugelassen und notiert wurden, ohne dass sie in dieser Phase schon kommentiert wurden.

Der gesamten Prozess stand unter der Überschrift S-Kommunikation. Ausgehend von der Analyse im Stärken-/Schwächenprofil wurden verschiedene Teilprojekte aufgesetzt, die ausnahmslos die Fortentwicklung der Unternehmenskultur zum Ziel hatten. Im Einzelnen wurden eine Vision entwickelt und kommuniziert, ein Leitbildprozess eingeleitet und umgesetzt, das Thema Führung in den Fokus gestellt und als Ergebnis ein Führungsanforderungsprofil erarbeitet, Leitsätze für den Umgang mit Kunden kreiert und schließlich ein Auftrag zur Straffung und Verschlankung der Abläufe an die Organisationsabteilung gegeben.

Dabei wurde an allen wichtigen Stellschrauben im Unternehmen "gedreht":

- Mitarbeiterorientierung (im Rahmen der Vision),

- Identifikation und Motivation (im Rahmen des Leitbildprozesses),

- Führung (im Rahmen der Entwicklung des Führungsanforderungsprofils),

- Kundenorientierung (im Rahmen der Leitsätze für den Umgang mit Kunden) und

- Schaffung optimaler Abläufe (im Rahmen des Auftrages an die Organisationsabteilung).

Mitarbeiterbeteiligung in allen Teilprojekten

In allen Teilprojekten wurde auf eine breite Mitarbeiterbeteiligung Wert gelegt. Alle Hierarchieebenen waren eingebunden. Der Charme bestand darin, dass sich interessierte Mitarbeiter im Wege einer Ausschreibung für die Mitarbeit in einem Teilprojekt bewerben konnten. Insoweit waren nicht nur die "Projektprofis" im Einsatz, es wurde vielmehr eine breite Bewegung mit vielen Beteiligten erzeugt, sodass die Akzeptanz der Projektergebnisse und eine hohe Umsetzungswahrscheinlichkeit sichergestellt waren.

Der Startschuss zur Umsetzung der Teilprojekte oder wenn man so will, der Auftakt zur Fortentwicklung der Unternehmenskultur in der Sparkasse Gießen erfolgte im Rahmen einer Großveranstaltung unter dem Slogan "Sparkasse Gießen in Bewegung". Hier wurden die Projektergebnisse kommuniziert und die Leitplanken für eine nachhaltige Umsetzung eingezogen. Den Führungskräften kam in diesem Prozessabschnitt eine tragende Rolle zu; die Mitarbeiter konnten deren klare Positionierung erkennen.

Eigenes Anforderungsprofil

Im Rahmen des Teilprojektes "Führung" kam es uns darauf an, das Spannungsfeld, in dem sich Führungskräfte bewegen, zu analysieren und aufzuzeigen.

Die intensive Beschäftigung mit dem Thema "Führung" führte zu der Überlegung, nicht - wie landläufig üblich - sogenannte Führungsleitlinien oder Führungsgrundsätze zu entwickeln, da die Begriffe Leitlinien/Grundsätze zu unverbindlich sind.

Stattdessen sollte für "Führung" ein eigenes Anforderungsprofil geschaffen werden. Anforderungsprofile müssen erfüllt werden und sind gegebenenfalls auch nachprüfbar. Durch dieses Wortspiel sollten zum einen eine hohe Verbindlichkeit hinsichtlich der Umsetzung erzeugt und zum Anderen ein einheitliches Führungsverständnis gewährleistet werden. Als begleitendes Instrument, das eine hohe Umsetzungswahrscheinlichkeit sicherstellt, wurde das "Führungsbarometer" geschaffen. Dessen Entwicklung war nicht mehr Aufgabe der Projektteams im Rahmen des Gesamtprojektes "S-Kommunikation", sondern wurde in einem abteilungsinternen Projekt der Personalabteilung erarbeitet.

Feedback-Kultur gefördert

Das Führungsbarometer ist konsequent auf das "Anforderungsprofil Führung" ausgerichtet und dockt die Unternehmensleitlinien an. Wir sehen eine große Chance, dass in diesem Rahmen Führungsverhalten reflektiert und - falls erforderlich - verbessert wird. Führungskräfte haben Anspruch auf Lob und konstruktive Kritik, auch aus den Reihen Mitarbeiter. Die Feedback-Kultur wird nachhaltig gefördert und die Unternehmenskultur im Sinne des Gesamtprojektes S-Kommunikation fortentwickelt. Mitarbeiter setzen sich mit dem Thema "Führung" auseinander, und schließlich werden auch gezielte und wirksame Personalentwicklungsmaßnahmen für die Führungskräfte ermöglicht (Führungsbildung).

Die Bewertungsskala, die die Mitarbeiter im Rahmen des Führungsbarometers nutzen können, gliedert sich in:

Erfüllung (mit drei Abstufungen) und

Entwicklungsbedarf (mit zwei Abstufungen).

Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, der Führungskraft in der Rubrik "individuelle Anmerkungen" weitere Informationen zu Führungsverhalten und Führungswirkung zu geben. In der Praxis erweist sich gerade diese Möglichkeit als sehr vorteilhaft; die Führungskräfte erhalten hier wertvolle Hinweise.

Praxistauglichkeit und Aussagefähigkeit wurden zunächst in zwei Pilotanwendungen getestet. Testkandidaten waren ein Filialbereich und die Personalabteilung. Festzuhalten ist, dass bereits dort ein aussagefähiges Ergebnis herbeigeführt wurde und dass insbesondere eine ehrliche und offene Diskussion zwischen den Mitarbeitern als Feedback-Geber und der Führungskraft stattgefunden hat.

Vertrauensbasis als Voraussetzung

Zu beachten ist hierbei, dass die Vertrauensbasis, die zwingende Voraussetzung für offenes und ehrliches Feedback ist, durch den oben beschriebenen Kulturprozess hergestellt war. Insoweit hat es sich ausgezahlt, dass das Führungsbarometer nicht für sich stehend und isoliert eingeführt wurde, sondern dass die Einführung integrativer Bestandteil eines umfassenden Prozesses im Rahmen der Organisationsentwicklung war.

Der weitere Roll-out fand in der Weise statt, dass zunächst alle Führungskräfte in einer Einführungsveranstaltung mit dem neuen Führungsinstrument und vor allem mit der dahinter stehenden Intention vertraut gemacht wurden. Das Motto lautet: "Nur wenn ich konstruktive Kritik zulasse und annehme, habe ich als Führungskraft die Möglichkeit, mich fortzuentwickeln."

Der nächste Schritt im Rahmen der Einführungsphase bestand aus Informationsveranstaltungen für Mitarbeiter auf Abteilungs- und Filialbereichsebene. Hier traten die jeweilige Führungskraft und ein Mitarbeiter der Personalabteilung auf. Die Personalabteilung hatte die Aufgabe, das Instrument zu erläutern, während die Führungskraft Gelegenheit hatte, sich bei ihren Mitarbeitern zu positionieren und das Interesse an einem möglichst offenen Feedback und an einem sich anschließenden offenen Dialog zu bekunden. In diesen Veranstaltungen erhielten die Mitarbeiter zur ersten Durchführung des Führungsbarometers die Feedback-Bögen. Anzumerken ist, dass das Führungsbarometer über alle Hierarchieebenen hinweg durchgeführt wird. Insoweit stellen sich auch die Vorstandsmitglieder einer Bewertung durch die ihnen zugeordneten Führungskräfte, Assistenten und Sekretärinnen.

Laufende Umsetzung

Das Führungsbarometer wird pro organisatorische Einheit alle drei Jahre wiederholt. Im ersten Durchlauf war das gesamte Haus betroffen, das heißt, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ihren jeweiligen Führungskräften ein Feedback gegeben. Im ersten Lauf war es ihnen auch freigestellt, das Führungsbarometer zu unterschreiben - also ein offenes Feedback zu geben - oder den Bogen ohne Namensnennung abzugeben. Überraschend war, dass bis auf drei Mitarbeiter alle Feedback-Bögen unterzeichnet waren. Dies führen wir auch auf die hergestellte Vertrauensbasis im Rahmen des Gesamtprojektes S-Kommunikation zurück. Die Mitarbeiter waren es durch den zuvor abgewickelten "Business-Dialog" gewohnt, sich konstruktiv einzubringen und Stärken und Schwächen offen anzusprechen. Seit dem zweiten Lauf erfolgen die Feedbacks generell in offener Form, also unter Namensnennung.

Die laufende Betreuung des Führungsbarometers liegt in der Verantwortung der Personalabteilung. Die Personalabteilung fordert zu den festgelegten Terminen das jeweilige Vorstandsmitglied auf, die Runde im eigenen Dezernat zu starten. Daran schließen sich die Feedback-Runden in den jeweils diesem Dezernat zugeordneten organisatorischen Einheiten an. Somit entsteht bei drei Vorstandsmitgliedern ein Rhythmus von drei Jahren.

Ergebnisbesprechung in der Gruppe

Die Mitarbeiter leiten die Feedback-Bögen in einer Ausfertigung der Personalabteilung zu, dort werden die Ergebnisse aufbereitet und für die Führungskraft in einer lesbaren Form dargestellt. Das aufbereitete Ergebnis wird außerdem der nächsthöheren Führungskraft zur Kenntnis gegeben. Eine weitere Ausfertigung der Feedback-Bögen geht als Erstinformation direkt vom Mitarbeiter an die jeweilige Führungskraft.

Diese bespricht im Rahmen eines Gruppengespräches das Ergebnis (Muss-Veranstaltung). Darüber hinaus können die einzelnen Bewertungen mit dem jeweiligen Mitarbeiter in Einzelgesprächen vertieft werden (Kann-Veranstaltung). Ein Einzelgespräch wird auch dann erforderlich, wenn der Mitarbeiter dies ausdrücklich wünscht.

Die Führungskraft fasst die Erkenntnisse des Gruppengespräches in einem kurzen Protokoll zusammen und leitet dieses über die Personalabteilung der nächsthöheren Führungskraft zu. Anhand der Auswertung und des Protokolls kann die Personalabteilung Führungsbildungsmaßnahmen entwickeln und anbieten, die dann in enger Abstimmung mit der jeweiligen Führungskraft durchgeführt werden.

Führung wird zur Hauptaufgabe

Alles in allem ist das Verfahren sehr transparent. Es basiert auf Vertrauen, und alle Beteiligten haben den ernsthaften Willen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit. Selbstverständlich muss die Führungskraft nicht in allen Belangen den Wünschen und Anmerkungen der Mitarbeiter nachkommen. Wichtig ist aber, dass sie ihnen Vorgehensweisen und Entscheidungen erläutert. Inzwischen befinden wir uns in einem gefestigten dreijährigen Rhythmus, in dem die Führungskräfte wiederkehrende Feedbacks erhalten. Das personalwirtschaftliche Instrument "Führungsbarometer" hat sich durchaus bewährt. Die wesentlichen Vorteile liegen in Folgendem:

1. Führung hat einen neuen Stellenwert bekommen: Die Führungskräfte nehmen ihre wichtigste Aufgabe sehr bewusst wahr. Führung unterliegt einem Controlling und ist daher nicht mehr beliebig. Ein einheitliches Führungsverständnis hat sich entwickelt und wird gepflegt.

2. Führung ist anspruchsvoller geworden: Die Führungskräfte sind sich ihrer Führungsverantwortung sehr bewusst geworden. Sie wie auch ihre Mitarbeiter erleben die Feedback-Runden als sehr wertvoll und zielführend. Die Führungskräfte erkennen Wünsche, Einstellungen und Befindlichkeiten ihrer Mitarbeiter und können sich in deren Ansprache darauf einstellen.

3. Führung steht im Mittelpunkt: Der festgelegte Rhythmus lässt es nicht zu, in Führungsfragen nachlässig zu werden. Die Führungskräfte beschäftigen sich intensiver und nachhaltiger mit Mitarbeitern. Über Führung wird in einem offiziellen und geordneten Rahmen gesprochen. Es werden Erkenntnisse gezogen. Verhaltensweisen ändern sich.

4. Führung erfordert mehr Zeit: Der erhöhte Zeitaufwand ist seitens der Geschäftsleitung gewollt. Führung wurde insoweit für Führungskräfte zu dem erhoben, was es immer schon sein sollte, nämlich die Hauptaufgabe. Ein Zurückziehen auf andere Arbeitsschwerpunkte unter Vernachlässigung der Führungsaufgabe wird nicht toleriert.

5. Führung ist ein entscheidender Erfolgsfaktor geworden: Wir stellen fest, dass gut geführte Einheiten durchaus erfolgreicher sind als schlecht geführte. Gute Führung fördert die Leistungswilligkeit und -fähigkeit der Mitarbeiter.

6. Führung beeinflusst nachhaltig die Motivation: Den Führungskräften ist klar, dass es auf eine gute Führungswirkung ankommt. Sie erkennen das Spannungsfeld, in dem sie sich bewegen. Sie reflektieren ihre Handlungen, interessieren sich für das Befinden ihrer Mitarbeiter und tragen so erheblich zu einer Förderung der Motivation bei.

Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Die Strategie geht offensichtlich auf. Führungsanforderungsprofil und Führungsbarometer werden als einheitliches personalwirtschaftliches Instrument wahrgenommen. Das wichtige Element "Führung" ist in den Prozess zur Fortentwicklung der Unternehmenskultur eingegliedert. Zurzeit ergeben sich durch die Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements neue Ansatzpunkte, die unter den Stichworten "gesundheitsbewusstes Führen" und "wertschätzendes Führen" aufgegriffen und in das Führungsanforderungsprofil aufgenommen werden. Gleichermaßen wird dann das Führungsbarometer angepasst.

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