Leitartikel

Keine Patentrezepte

sb - Langsam, aber sicher verwandelt sich die Bevölkerungspyramide in Deutschland in einen Pilz mit einem breiten Hut aus Senioren und einem schlanken Stamm jüngerer Jahrgänge. Manche Branchen können dem gelassen entgegensehen oder sogar davon profitieren: Pflegekräfte etwa, Geriatriker oder Akustiker. In vielen anderen Bereichen sind die Perspektiven weniger rosig. Denn Senioren kaufen nicht nur anders (worauf sich mit einer veränderten Produktpalette reagieren lässt), sie kaufen in vielen Fällen auch weniger. Und dieses Phänomen wird sich bei den nachwachsenden Rentnergenerationen, bei denen sich die Versorgungslücke bemerkbar macht, eher verstärken als einebnen, wenngleich die Haltung der Nachkriegsgeneration, zugunsten der Erben Konsumverzicht zu üben, in dieser Altersgruppe weit weniger verbreitet sein dürfte als noch bei den heutigen Angehörigen der Altersgruppe 66 plus. Für viele Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen heißt das: Ihr Markt wird schrumpfen. Kreditinstitute, Bausparkassen, Versicherer oder Fondsgesellschaften bilden da keine Ausnahme.

Im ohnehin schon wettbewerbsintensiven deutschen Retailmarkt dürfte somit der Wettbewerbsdruck und mit ihm der Druck auf die Margen weiter zunehmen. Hat schon heute eine Reihe von Anbietern erkannt, dass ein Wachstum um jeden Preis betriebswirtschaftlich kaum sinnvoll ist, so wird künftig wohl auch häufiger ein gesundes Schrumpfen in Betracht gezogen werden müssen. Dass inzwischen auch die in diesem Bereich bislang zurückhaltenden Sparda-Banken zunehmend ins Jugendmarketing einsteigen (so hat etwa die Sparda-Bank Hessen erst seit kurzem ein Jugendgirokonto im Angebot), mag ein erstes Indiz dafür sein, dass man sich auf die Verschiebung der Gesellschaft einstellt. Denn die Jungen von heute sind bekanntlich die attraktiven Kunden von morgen.

Am weitesten vorangekommen ist die Branche indessen vermutlich im Bereich Personal. Denn hier lässt sich die demografische Entwicklung am besten vorausberechnen, wie es etwa die Genossenschaftsorganisation getan hat. Da der Fachkräftemangel vielerorts bereits spürbar ist, genießt das "Employer Branding" einen hohen Stellenwert. Dabei wird nicht nur auf Ausbildung gesetzt, sondern auch auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ganz allgemein die "Work-Life-Balance", um nicht nur die weiblichen Mitarbeiter möglichst lange im Unternehmen zu halten. Auch das betriebliche Gesundheitsmanagement gewinnt in diesem Kontext an Bedeutung. Im Personalmanagement sind die Maßnahmenbündel somit bereits relativ ausgereift.

Bei Produkten und Vertriebswegen sieht die Sache schon schwieriger aus. Denn hier gibt es kein Patentrezept. Der generell ausgemachte Veränderungsprozess der Gesellschaft und mit ihm der Anpassungsbedarf für die Branche wird regional sehr unterschiedlich ausfallen (siehe Beitrag Nietert). Zudem gibt es Faktoren, die etwa einen potenziell sinkenden Kreditbedarf älterer Kundengruppen ins Gegenteil verkehren oder zumindest kompensieren könnten. So wird eine tendenziell ältere Gesellschaft vielleicht weniger Immobilienfinanzierungen, dafür aber mehr Renovierungsdarlehen zum Beispiel für altersgerechte Umbauten benötigen. Auf der Einlagenseite ist vorstellbar, dass zumindest die sogenannte Generation der Erben noch die Versorgungslücke durch Erbschaften wettzumachen vermag. Und bei den Vertriebswegen sind die Entwicklungszyklen ohnehin so schnell, dass sich eine Prognose, welche Kontaktwege zu ihrer Bank beispielsweise die heutigen Vierziger-Jahrgänge in 20 Jahren wählen werden, beinahe verbietet. All das müssen Finanzdienstleister bei ihrem Blick in die Zukunft berücksichtigen. Und anders als etwa bei Sepa gibt es beim Stichwort Demografie keinen Stichtag und keine fixen Rahmenbedingungen, an die es sich anzupassen gilt, für die es aber auch feste Vorgaben gibt. Die notwendige Anpassung wird so zum Lernprozess. Und dabei gilt: Flexibilität ist Trumpf.

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