Titel: Wettbewerb im Retail

Paradigmenwechsel im Retailbanking - ein zäher Prozess

Der Wettbewerb im deutschen Retailbanking hat eine ungeahnte Heftigkeit erreicht. Während das sogenannte Massengeschäft noch vor wenigen Jahren als zäh und ausgereizt galt, werden die privaten Bankkunden heute umworben wie nie zuvor. Laufend drängen neue Anbieter mit den unterschiedlichsten Geschäftsmodellen und Produktkonzepten auf den Markt. Und die klassischen Retailer mit ihren teuren Zweigstellennetzen versuchen, mit Kampfkonditionen die Abwanderung ihrer Kunden zu stoppen, und gehen dabei oftmals bis an die Grenzen der Rentabilität.

Wer wird sich am Ende durchsetzen? Wen wird man beachten müssen? Eine entscheidende Rolle wird spielen, welche Anbieter sich konsequent am Kunden orientieren. Konsequent heißt, nicht nur über Kundenzufriedenheit zu reden, sondern alle Konzepte und Strategien, von der Produktpolitik über den Vertrieb bis hin zur internen Organisation, vom Kunden her zu denken.

In den vergangenen Jahren hat im Retailbanking ein folgenreicher Paradigmenwechsel stattgefunden: Aus einem Verkäufermarkt ist ein Käufermarkt geworden. Heute reicht es nicht mehr, dass Banker in ihren Niederlassungen sitzen und darauf warten, dass die Kunden brav in die Filiale kommen. Heute muss die Bank zum Kunden gehen. Sie muss sich nach seinen Bedürfnissen richten. Man muss dem Kunden das anbieten, was er wirklich haben will - nicht das, was man ihm gerne verkaufen würde.

Auf den ersten Blick mag das weder neu noch spektakulär klingen. Nahezu alle Banken und Sparkassen haben sich die Kundenorientierung auf die Fahne geschrieben. Alle reden von Kundenzufriedenheit. Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine weite Lücke. Drei Viertel der Bankkunden in Deutschland sind mit ihrer Hauptbank unzufrieden - so das Kölner Marktforschungsinstitut Psychonomics in seinem Kundenmonitor 2006. Lediglich den Direktbanken haben die Kunden danach mehrheitlich ein gutes Zeugnis ausgestellt.

Produktpalette straffen

Gestützt wird dieses Ergebnis auch durch viele ähnliche Untersuchungen; zum Beispiel durch eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton, wonach mangelhafte Kundenbetreuung, umständliche Vertriebswege und unverständliche Produkte die Markenzeichen deutscher Geschäftsbanken seien.

Das gute Abschneiden der Direktbanken hat seine Gründe. Direktbanken bieten heute genau das, was die Mehrheit der Kunden im Retailbanking sucht: unkomplizierte Produkte zu günstigen Konditionen. Die klassischen Retailer haben sich in der Vergangenheit keinen Gefallen damit getan, laufend neue Produkte in immer undurchsichtigeren und damit auch immer schwerer vergleichbaren Varianten auf den Markt zu bringen. Das hat nur zu einem undurchdringlichen Produktdschungel geführt.

Dabei lässt sich achtzig Prozent dessen, was der Privatkunde heute sucht, in wenige, unkomplizierte Produkte fassen, die leicht und schnell zu verstehen sind. Selbst ein Produkt wie die Baufinanzierung lässt sich standardisieren. Man muss nur auf alle Sonderbedingungen und Abweichungen verzichten. Die Konditionen müssen eindeutig und "all inclusive" sein, damit der Kunde sich darauf verlassen kann, dass nicht doch noch irgendwelche Gebühren oder Folgekosten auf ihn zukommen.

Erfolgsfaktor Bequemlichkeit

Kundennahes Banking darf aber nicht nur im Produktbereich stattfinden. Die Kunden von heute und morgen haben auch - völlig zu Recht - den Anspruch, dass alle Möglichkeiten moderner Technik, Kommunikation und Betriebsorganisation genutzt werden, um ihnen ein Optimum an Service und Komfort zu bieten. Geldgeschäfte sollen keine lästige, sondern eine komfortable Angelegenheit sein. Das Angebot der Direktbanken, private Geldangelegenheiten rund um die Uhr und von überall her erledigen zu können, kommt diesem Hang zur Bequemlichkeit sehr entgegen.

Zum Komfort gehört es aber auch, dass es keine langen Bearbeitungszeiten gibt. Kunden können heute erwarten, dass ihre Aufträge am gleichen Tag ausgeführt werden. Und wo das nicht möglich ist, etwa bei der Zusage von Baukrediten, sollten drei Tage genügen, bis der Kunde weiß, ob er das Geld erhält.

Zu einem kundennahen Service gehören auch kurze Wartezeiten am Telefon. Zwanzig Sekunden müssten hier der Höchstwert sein. Und wenn ein Kunde im Call-Center anruft, dann sollte er sofort bei einem kompetenten Gesprächspartner landen und nicht von Agent zu Agent weiterverbunden werden.

Hier ist nicht nur die Technik, hier sind ganz entscheidend die Mitarbeiter gefordert. Von ihnen hängt es ab, dass sich die Kunden gut aufgehoben fühlen. Dafür braucht man Angestellte mit hoher fachlicher und sozialer Kompetenz. Dafür braucht man Mitarbeiter, die sich engagieren, die Freude an ihrer Arbeit haben und die selbst an der Entwicklung der Bank mitwirken. Nicht zuletzt bedeutet das aber auch, dass die Mitarbeiter eine angemessene Bezahlung erhalten.

Exzellentes Kostenmanagement unausweichlich

Die Aufgabe, die sich heute für ein kundenorientiertes Retailbanking stellt, ist fürwahr nicht einfach. Auf der einen Seite erwarten die Kunden eine hohe Qualität und Spitzenservice, auf der anderen Seite erwarten sie auch beste Konditionen.

Aus diesem scheinbaren Dilemma gibt es nur einen Ausweg: exzellentes Kostenmanagement. Nur durch eine höchstmögliche Effizienz wird es in Zukunft möglich sein, den hohen Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden, ohne die eigene Wirtschaftlichkeit zu gefährden. Teilweise kann eine konsequent an der Kundenmehrheit ausgerichtete Geschäftspolitik freilich schon von selbst zu Einsparungen führen.

Eine Durchforstung des Produktdschungels zum Beispiel und die Standardisierung der Produkte ermöglichen es, große Transaktionsvolumina zu bündeln, die Stückkosten zu senken und damit wichtige Economies of Scale zu erzielen.

Aber auch für die interne Organisation gilt es, komplexe Strukturen und Abläufe, Intransparenz und lange Bearbeitungszeiten abzubauen. Hier steckt viel Einsparungspotenzial.

Direktbanken haben gegenüber traditionellen Banken den Vorteil, dass sie keine Filialen unterhalten müssen. Sie können bis zu fünfmal kostengünstiger arbeiten als Filialbanken. Und dieser Kostenvorteil kann weitergegeben werden. In Form von hohen Guthabenzinsen, niedrigen Kreditzinsen und gebührenfreien Leistungen. Aber auch in Form eines guten Services und einer hohen Produktqualität.

Nicht zuletzt auf Druck der Direktbanken hat sich der Retailbanking-Markt in den vergangenen Jahren schon erheblich in Richtung der Kundenerwartungen bewegt. Viele Gebühren haben sich verringert und so manches Produkt, das früher nur vermögenderen Kunden vorbehalten war - etwa das Tagesgeldkonto - steht heute der Allgemeinheit zur Verfügung.

Trotzdem scheint sich das neue Paradigma nur langsam durchzusetzen. Umfragen und Untersuchungen - nicht zuletzt auch die im Januar 2007 veröffentlichte Kundenbefragung der Stiftung Warentest - belegen nach wie vor, dass deutsche Retailbanken in Sachen Kundenorientierung immer noch Mittelmaß sind. Im Grunde ist das erstaunlich. Denn diejenigen Institute, die nicht nur von Kundennähe sprechen, sondern die den Kunden tatsächlich in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen, werden auch die Institute sein, die es in den kommenden Jahren zu beachten gilt.

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