Leitartikel

Steinzeit-Marketing?

sb - Mit der Diskussion um die Erstellung psychologischer Kundenprofile (siehe Blickpunkt auf Seite 6) ist die Haspa zum Sündenbock geworden. Letztlich aber geht es um sehr viel mehr als allein um ihre Vertriebspraktiken, nämlich um die Frage, inwieweit den Finanzdienstleistern Marketingansätze zugestanden werden, die etwa bei den Konsumgütern selbstverständlich akzeptiert werden. Keine Frage: Dass die Finanzdienstleister mit einer ganz besonderen Messlatte gemessen werden, ist angesichts der Sensibilität der Menschen beim Thema Geld sicher angemessen. Obgleich Datenschützer neuerdings monieren, dass die Kreditwirtschaft hier Hand in Hand mit der BaFin allzu großzügig mit datenschutzrechtlichen Vorgaben umgeht, weiß die Branche: Datenschutz ist nicht nur Ehrensache. Der sorgfältige Umgang mit Kundendaten ist existenziell.

Aktuell stellt sich aber die Frage, was die Anbieter mit den ihnen vorliegenden Daten eigentlich tun dürfen. Eine Segmentierung der Kunden nach "harten" Faktoren wie Alter, Familienstand oder Einkommen ist (noch) unangefochten. Eine passgenaue, proaktive Kundenansprache, wie sie allen Marktforschungsergebnissen zufolge von den Kunden immer mehr eingefordert wird, ist auf dieser Basis aber kaum möglich. Hierfür braucht es die "weichen" Kriterien, also die individuellen Grundeinstellungen der Menschen, wie es die Haspa mit dem Konzept "Sensus" (bei der Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg, die es entwickelt hat, heißt es "Limbic") versucht hat. Das Neuromarketing, die Verbindung von Erkenntnissen der Hirnforschung und der Psychologie mit der Mar ketingpraxis also, ermöglicht eine individuellere Kundenansprache. Dann aber ist man schnell beim "Kundenprofil", dem Schreckgespenst aller deutschen Daten- und Verbraucherschützer.

Wieder einmal tut sich somit ein Widerspruch zwischen den verschiedenen an die Finanzdienstleister erhobenen Ansprüchen auf: individuelle, bedarfsorientierte Beratung einerseits, möglichst keinerlei Verwendung von Kundendaten andererseits. Beides gleichzeitig wird - zumindest im Mengengeschäft - nicht zu haben sein. Dafür sorgt schon die jüngste Regulierung. Denn für die Erstellung von Beratungsprotokollen muss festgehalten werden, wie die Kunden zu Themen wie Anlagezielen oder Risiko denken. Eine Art "Basisprofil" ist also gesetzlich vorgeschrieben.

Darüber hinaus ist eines klar: Eine auf jegliche Standardisierung verzichtende individuelle Beratung ist angesichts der Margen im Retailbanking nicht darstellbar. Wer ein größtmögliches Maß an Individualität wünscht, ohne dafür beträchtliche Beratungshonorare zu bezahlen, wird also damit leben müssen, dass die über ihn vorliegenden Informationen zum Zwecke einer möglichst feinen Segmentierung ausgewertet und zur persönlichen Ansprache genutzt werden, wie immer man dies letztlich nennen mag. Eine starre Einteilung in "Schubladen", wie sie jetzt unterstellt wird, ist beim aktuellen Stand der IT dabei nicht zu befürchten. Je nachdem, wie der Kunde sich im Gespräch äußert, suchen moderne Systeme die am besten zutreffende Kategorie aus. Der Rest ist ohnehin Sache des Beraters.

Vielleicht wird man darüber diskutieren müssen, ob künftig das Einverständnis der Kunden zu solcher Auswertung seiner Daten eingeholt werden und seine Einordnung in eine bestimmte Kategorie mit ihm abgestimmt werden sollte. Im Rahmen der Erstellung von Beratungsprotokollen wäre das sicher technisch darstellbar und vielleicht ein vertretbarer Mehraufwand. Solche Kunden freilich, die keinerlei Datenauswertung zustimmen, müssten dann auf auch passgenaue Ansprache durch ihre Bank verzichten. Der Preis für ihre Bedenken wäre dann eine Art Steinzeitmarketing, das deutlich mehr Eigeninitiative verlangt - und mit entsprechenden Streuverlusten für die Anbieter.

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