Mobiler Vertrieb

Die Überland-Sparkasse als vollwertige mobile Filiale

Die deutschen Sparkassen zeichnen sich durch ihre starke Verwurzelung in der Region aus und die damit einhergehende Konzentration der Geschäftstätigkeit auf ein begrenztes Gebiet. Dieses Regionalprinzip hat den Sparkassen in den letzten beiden Jahrhunderten eine deutliche Kontur gegeben. Es ist geprägt von starker regionaler Präsenz, hoher Kenntnis von Kunden und regionaler Netzwerke und ein wesentliches Erfolgselement für Sparkassen. Wie das nachfolgende Beispiel eindrucksvoll zeigt, kann es auch eine besondere Herausforderung an die Geschäftspolitik einer regionalen Sparkasse sein.

Der Werra-Meißner-Kreis ist ein Landkreis in Nordhessen an der Grenze zu Nieder sachsen und Thüringen. Im Landkreis leben heute etwas mehr als 107 000 Menschen. Noch vor wenigen Jahren waren es deutlich über 110 000 Einwohner. Dieser rückläufige Trend wird anhalten. So ist davon auszugehen, dass schon 2025 die Zahl der Einwohner auf zirka 95 000 sinken wird. Mit diesem Rückgang gehen deutliche Verschiebungen in der zukünftigen Alterspyramide einher. Für das Jahr 2025 wird die Zahl der bis 21-jährigen um fast 30 Prozent und die Zahl der 31bis 45-jährigen nahezu 20 Prozent zurückgehen.

Herausforderung Bevölkerungsrückgang

Für eine Sparkasse, die zu einem wesentlichen Teil ihre Erfolge aus dem Privatkundengeschäft generiert, bedeutet dies eine erhebliche strategische Herausforderung. Sie darf sich auf dem hohen Marktanteil im Privatkundengeschäft und dessen Erhalt nicht ausruhen. Vor dem Hintergrund eines intensiven Wettbewerbs und einer sinkenden Kundenbindung muss sie vielmehr nach Möglichkeiten suchen, um nicht nur ihre relativen Marktanteile, sondern auch die absolute Zahl der von ihr aktiv betreuten Privatkunden zu erhöhen. Angesichts einer hohen Preistransparenz im Bankgewerbe ist das eine anspruchsvolle Aufgabe. Für die Sparkasse Werra-Meißner gibt es vier Eckpfeiler, um dieses Ziel zu erreichen:

Ein attraktives Vertriebssystem durch Geschäftsstellen,

kompetente regionale Beratungscenter,

Ausbau und Etablierung des Internets für alle Kundengruppen sowie

flankierende Maßnahmen wie die Überland-Sparkasse.

Ein attraktives Vertriebssystem definiert sich nicht nur über Produkte und Preise, sondern in erster Linie über die Mitarbeiter und deren Erreichbarkeit. Hier gilt es, mit liebgewordenen Tabus zu brechen und die Öffnungszeiten den Kundengewohnheiten anzupassen. In diesem Zusammenhang hat die Sparkasse Werra-Meißner an einigen ausgewählten frequenzstarken Standorten die Samstagsarbeitszeit eingeführt - mit großem vertrieblichen Erfolg. Mehr Beratung in den Abendstunden und durchgehende Öffnungszeiten auch in ländlichen Regionen mögen hier als Stichworte dienen.

Die regionalen Kompetenzcenter für Privatkunden stellen mit hoher fachlicher Kompetenz die lebensphasenbezogene Beratung sicher. Neben dieser fachlichen ist aber auch eine hohe soziale Kompetenz der dort eingesetzten Berater unverzichtbar. Sie agieren als Relationship-Manager und sind Bindeglied zwischen Sparkasse und Kunde. Sie fühlen sich emotional in die Kunden ein, um zu verstehen, welche Bedürfnisse sie haben und um faire und transparente Angebote daraus zu entwickeln.

Verkleinerung des Filialnetzes vor rund zehn Jahren ein Fehler?

Einen weiteren ungewöhnlichen, aber mittlerweile außergewöhnlich erfolgreichen Weg geht die Sparkasse Werra-Meißner bei den flankierenden Maßnahmen. Sie verfügt über 20 Geschäftsstellen und zwei Kompetenzcenter und ist in Bezug auf die Bevölkerungsdichte damit äußerst dicht vertreten. Trotzdem gibt es viele Gemeinden mit rund 1000 Einwohnern, die heute nicht mehr über eine eigene Bankfiliale verfügen.

Vor etwas mehr als zehn Jahren hatte die Sparkasse ihr Geschäftsstellennetz der aktuellen Entwicklung folgend mit durchaus bemerkenswerten betriebswirtschaftlichen Resultaten nahezu halbiert. Heute ist jedoch selbstkritisch festzustellen, dass dort, wo entweder eine vorhandene Geschäftsstelle geschlossen wurde oder die Sparkasse historisch noch nie präsent war, die Marktanteile zum Teil deutlich niedriger als in filialbasierten Orten liegen beziehungsweise an einzelnen Standorten spürbar rückgängig sind.

Vor diesem Hintergrund war die mobile Geschäftsstelle ein adäquater Ersatz für die klassischen stationären Geschäftsstellen, die in dieser Größenordnung keinesfalls rentabel zu betreiben sein würden. Wesentlich war dabei, sich von dem Gedanken des tradierten klassischen Sparbusses zu verabschieden, den es insbesondere bei Flächensparkassen noch immer gibt. Bei Fahrzeugsystemen dieser Art stehen die Versorgung mit Bargeld und der Zahlungsverkehr eindeutig im Vorder grund.

Die Sparkasse Werra-Meißner hat mit der sogenannten Überland-Sparkasse eine technisch aufwändige, aber dem Gedanken einer vollwertigen mobilen Geschäftsstelle sehr nahe kommende Lösung gefunden. Das Corporate Design der stationären Geschäftsstellen wurde 1:1 auf die rollende Geschäftsstelle übertragen.

Dies beinhaltet auch die klare Struktur, die auf allen Geschäftsstellen der Sparkasse anzutreffen ist. Die Dreigliedrigkeit in einen Selbstbedienungsbereich mit Geldausgabeautomaten, Multifunktionsterminal und Kontoauszugsdrucker, Servicezone und Beratungszimmer wurde auch in der Über -land-Sparkasse realisiert. Da diese über die gleiche Ausstattung und Beratungssoftware wie eine "normale" Geschäftsstelle verfügt, kann der Kunde die gesamte Produktpalette seiner Sparkasse ausschöpfen.

Keine eigene Mitarbeiterrekrutierung für die Überland-Sparkasse

Das Fahrzeug ist auf seiner wöchentlichen Tour an zehn Standorten präsent und er reicht 5 000 Haushalte und somit über 10 000 Kunden und potenzielle Kunden. In Abstimmung mit den politischen Gremien wurde eine Haltestelle deutlich sichtbar eingerichtet. Das Fahrzeug wird durch ein ortsansässiges Speditionsunternehmen gewartet und auch gefahren, sodass sich die Mitarbeiter der Sparkasse in dem ihnen vertrauten Vertriebskonzept voll auf die Kundenbetreuung konzentrieren können.

Das wesentliche Erfolgsmoment dieses nicht gerade gewöhnlichen Vertriebswegs liegt weniger in der technischen Ausstattung, sondern in den Mitarbeitern, die in dem Fahrzeug ihrer Tätigkeit nachgehen. So wurde bewusst darauf verzichtet, für das Fahrzeug eine eigene Mitarbeiterbesetzung zu rekrutieren. Vielmehr werden immer die Mitarbeiter der nächstgelegenen Geschäftsstellen oder Beratungszentren eingesetzt. Dadurch werden vorhandene Kundenbeziehungen weiter intensiviert beziehungsweise regelmäßig ausgebaut. Der Kunde bekommt also kein neues Gesicht zu sehen, sondern trifft auf die ihm vertrauten Mitarbeiter der Sparkasse.

Gesprächstermine mit Kunden vorab telefonisch vereinbart

In der Regel werden die Kundengesprächstermine telefonisch vereinbart, sodass sich Kunde und Sparkassenmitarbeiter inhaltlich auf den Termin vorbereiten können. Vertraute Gesichter einerseits, konsequente Terminvereinbarungen andererseits, bilden so eine logische Einheit.

Die Überland-Sparkasse hat sich in der Praxis sehr gut bewährt. Die Sparkasse bekommt von den Nutzern äußerst positive Reaktionen. Sie wird in der Öffentlichkeit wahrgenommen und kann ihrem satzungsgemäßen Auftrag zur flächendeckenden Versorgung der Menschen in ihrem Geschäftsgebiet authentisch nachkommen. Gegenüber Mitbewerbern ist das ein handfester - oder besser rollender - Wettbewerbsvorteil. Insbesondere, weil es sich um ein Alleinstellungsmerkmal handelt. Dort, wo die Sparkasse ein bekanntes Gesicht einsetzt, ist die Akzeptanz in besonders hohem Maße gegeben.

Der Nutzen der mobilen Geschäftsstelle geht über die eigentliche Verwendung hinaus. Die Überland-Sparkasse ist so konzipiert, dass sie als Messefahrzeug autark oder personenbesetzt eingesetzt werden kann. In dieser Funktion ist das Fahrzeug an vielen Wochenenden im Einsatz. Ob als Geschäftsstelle oder als Messepavillon - egal, die Sparkasse wird positiv wahrgenommen.

Frank Nickel , Mitglied des Vorstands, Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), Frankfurt am Main
Noch keine Bewertungen vorhanden


X