Leitartikel

Alter Wein in neuen Schläuchen?

sb - Am Haarpflegeregal im Super- oder Drogeriemarkt spielt sich immer wieder das gleiche ab: Kunden jammern darüber, dass es ihr jeweiliges Produkt schon wieder nicht mehr gibt. Auch in anderen Bereichen versucht die Industrie fortwährend, durch neue Produkte auch neue Kunden zu gewinnen. Nur die Finanzbranche fällt durch ihre Beständigkeit auf. ZEW hat für die Branche eine Innovationsintensität von 0,6 Prozent er mittelt. Nur beim Großhandel ist sie noch niedriger. Nur zehn Prozent des Umsatzes von Banken wurden 2010 mit echten Marktneuheiten erwirtschaftet. Bei Versicherern und Maklern waren es 2,5 Prozent. Nur dann, wenn auch Nachahmerprodukte hinzugezählt werden, kommt die Branche auf eine Quote von annähernd zehn Prozent.

Dass dies so ist, liegt vermutlich mindestens ebenso sehr an den Verbrauchern wie an den Anbietern selbst. Das neue Müsli, das probiert man gern einmal aus. Die Abwechslung beim Geschmack ist willkommen. Bankprodukte aber sind ein Thema, mit dem sich der Durchschnittsverbraucher allen wiederkehrenden Studien zufolge ungefähr so gern beschäftigt wie mit dem Zahnarztbesuch. Weil aber neue Produkte zwangsläufig die Beschäftigung mit denselben voraussetzen, gilt hier: Weniger ist mehr. Wenn die finanziellen Grundbedürfnisse befriedigt sind, wofür eine übersichtliche Anzahl an Produkten ausreicht, wird es deshalb schwer, mit neuen Produkten zu punkten - zumal diese namentlich in Deutschland stets die Hürde der kritischen Beurteilung durch die Verbraucherschützer zu bestehen haben. Was sie verdammen oder wovor sie zumindest warnen, setzt sich meist auch nicht in der Breite durch. Der Revolving Credit ist ein Beispiel dafür.

Überhaupt ist es schwierig abzugrenzen, was als "neues" Produkt gilt. Ist Girogo eine Produktneuheit - oder doch nur eine technische Weiterentwicklung der Geldkarte? Sind Easy Credit Card oder Sparkassen Card Plus, bei denen der Ratenkredit gleichsam "präventiv" bewilligt wird, wirklich neu - oder auch nur eine Weiterentwicklung des Ratenkredits auf neuer technischer Grundlage? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Fest steht aber: Die Neuerungen, die es in der Kreditwirtschaft zweifellos gibt, beziehen sich meist weniger auf den Kern der Produkte. Hier dominieren immer noch die "Klassiker" in den Bereichen Zahlungsverkehr, Finanzierung, Geldanlage und Vorsorge. Das immer wieder totgesagte Sparbuch und das allen Mahnungen zur Suche nach renditestärkeren Anlagemöglichkeiten zum Trotz hartnäckige Festhalten der Verbraucher am "Geld Parken" auf Tagesgeldkonten sind eindrückliche Beweise dafür.

Innovativ zeigen sich die Finanzdienstleister dagegen dort, wo es um technischen Fortschritt und neue Services geht. Neue Methoden zur Erhöhung der Sicherheit beim Onlinebanking oder von Kartenzahlungen werden vom Kunden meist anstandslos akzeptiert - und (wie die Chipmigration der Karten) manchmal kaum bewusst registriert. Andere technische Neuheiten, die die bewährten Produkte auf neuen Kanälen oder mit anderen Trägermedien zugänglich machen, sind den Kunden durchaus willkommen, wie etwa der Erfolg der Sparkassen-App oder das wachsende Interesse am kontaktlosen und/oder mobilen Zahlen zeigen. Und auch neue Services, seien es nun die Multibankfähigkeit einer Onlinebanking-Anwendung, Assistance-Leistungen bei Versicherungen oder auch die Videoberatung zu Anlagethemen oder der Baufinanzierungen, stoßen wenigstens bei einem Teil der Klientel - auf reges Interesse. In solchen Bereichen hat sich die Branche in den letzten Jahren recht tatkräftig gezeigt.

Natürlich mag man das alles als "alten Wein in neuen Schläuchen" bezeichnen. Dem Kunden ist dieser Ansatz aber eher recht. Und wenn der eine oder andere Anbieter sich in Krisenjahren eher darauf konzentriert, das Geschäft auf eine solide Basis zu stellen, als mit den neuesten technischen Errungenschaften zu punkten, gilt auch das eher als Bonus denn als Nachteil. Beständigkeit ist in der Finanzbranche nun einmal Trumpf.

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