Leitartikel

Branche in Sippenhaft

sb - Die Verbraucherschützer reiben sich schon lange an den Versicherern: Versteckte Kosten, Ausschlussklauseln bei Sach- und Personenversicherungsverträgen oder die Rückkaufwerte bei vorzeitiger Kündigung von Lebensversicherungen. All das stand schon lange auf ihrer Agenda. Höchstrichterliche Entscheidungen in dieser Frage - wie zuletzt das EuGH-Urteil, das die Branche zu Unisex-Tarifen verpflichtet sind insofern nicht als Ausdruck des neuen Misstrauens in die gesamte Finanzindustrie zu sehen.

Die Versicherer sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen - dank eher konservativer Anlagestrategien recht ordentlich durch die Krise hindurchgekommen. Sie haben sie nicht verschuldet und nicht zuletzt deshalb beim Kundenvertrauen ungleich weniger Einbußen zu verzeichnen als die Kreditinstitute. Abzulesen ist das zum Beispiel an der Entwicklung der Stornoquoten in der Lebensversicherung, bei denen es in der Krise keinen deutlichen Ausschlag gab. 2008 stieg die durchschnittliche Stornoquote zwar auf 4,0 Prozent - damit aber nicht über das Niveau der Jahre 2003 bis 2006. Und seit 2009 ist sie schon wieder deutlich zurückgegangen. Umso bitterer muss es den Unternehmen aufstoßen, dass die Vorgänge in der einstigen Hamburg-Manheimer das Image der Branche als Ganzes geschädigt haben. Wenn ausgerechnet der Sympathieträger "Herr Kaiser" für einen erst spät ans Tageslicht gekommenen Sumpf an Verfehlungen steht, so mag sich der Verbraucher denken, dann werden wohl auch andere Anbieter noch die eine oder andere Leiche im Keller versteckt haben. In einer Befragung der Brand Control GmbH, Frankfurt am Main, gaben im Juni 46 Prozent der Befragten an, dass durch die Skandale um HMI ihr Vertrauen in das Unternehmen "etwas" bis "sehr" erschüttert sei. Geringeres beziehungsweise gar kein Vertrauen mehr in die Branche als Ganzes hatten 36 Prozent, unter den Frauen - einer Zielgruppe, in der die Assekuranz überdurchschnittliche Wachstumsraten verzeichnet - sogar 42 Prozent.

So misslich dies in einer Zeit, in der sich die Assekuranz mit Transparenzoffensive und Imagekampagne um das Vertrauen der Verbraucher bemüht, auch sein mag. Die eigentlichen Probleme lauern - namentlich für die Lebensversicherer - an anderer Stelle. Und hier fühlen sich die Versicherer nicht ganz zu Unrecht für Versäumnisse und Fehler in der Kreditwirtschaft mit in Sippenhaft genommen. Denn IFRS 4 und Solvency II, so die einhellige Meinung, bilden das Geschäftsmodell der Ver sicherungen bestenfalls unzureichend ab. Die Branche bemüht sich um Nachbesserungen, aber die Zeit wird knapp. Denn eine Verschiebung von Solvency II, mit der bis vor kurzem noch gerechnet worden war, wird es nun wohl doch nicht geben. Bleibt aber alles beim Alten, werden die neuen Kapitalanforderungen die langfristigen Garantien, mit denen die Lebensversicherungen bisher im Wettbewerb mit anderen Vorsorgevarianten punkten konnten, zumindest deutlich verteuern. Ohne diese Garantien aber fiele nicht nur ein wichtiges Verkaufsargument in einer Zeit, in der die Verbraucher angesichts fragwür diger Aussichten auf gesetzliche Rente verlässliche Zusagen wünschen. Schlimmstenfalls könnte in der Folge auch die steuerliche Begünstigung der Lebensversicherung gegenüber anderen Spar- beziehungsweise Vorsorgeformen infrage gestellt werden.

Tot ist die Altersvorsorge via Versicherung damit sicher nicht - sie wird sich aber vielleicht wandeln müssen. Ob auch die Deutschen sich künftig an "Variable Annuities" werden gewöhnen müssen, wie sie etwa in den USA längst eine Selbstverständlichkeit sind? Fondsgebundene Policen, die zwar weniger Garantie, dafür aber mehr Renditechancen bieten, sind aktuell jedenfalls schon wieder im Trend. Auch sie waren vor wenigen Jahren schon einmal totgesagt.

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