Versicherungen

Garantiezins, Unisex und Solvency II: Auswirkungen auf die Produkte

In den letzten Monaten wird vermehrt darüber spekuliert, ob das Geschäftsmodell der Deutschen Lebensversicherer noch eine Zukunft hat. Sei es die Absenkung des Garantiezinses, sei es das Urteil des europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Unisex-Tarifierung oder seien es die Rahmenbedingungen des geplanten risikobasierten Aufsichtssystems Solvency II: All diese aktuellen Entwicklungen stellen die Branche vor immer neue Herausforderungen. Im Kern der Diskussion stehen zumeist die langfristigen Garantien und werthaltigen Optionen der Versicherungsnehmer. Neben Garantien und Optionen gibt es aber noch weitere Kernelemente, die fundamental für dieses Geschäftsmodell "Deutsche Lebensversicherung" sind: Zu nennen sind hier vor allem der Gleichbehandlungsgrundsatz sowie der Risikoausgleich im Kollektiv der Versicherten und in der Zeit.

Erst diese Besonderheiten erlauben es den deutschen Lebensversicherern, attraktive und sichere Produkte für die Altersvorsorge und die Absicherung von Lebensrisiken anzubieten, die von Marktteilnehmern, bei denen die oben genannten Kernelemente fehlen, also etwa von Banken oder Fondsgesellschaften, nicht reproduzierbar sind.

Hoher Aufwand durch Garantiezinsabsenkung

Zweifellos ist das derzeitige rechtliche wie legislative Umfeld für das Geschäftsmodell der deutschen Lebensversicherer schwierig, und aus Sicht der Versicherungsmathematiker der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) werden einige Entwicklungen der letzten Monate kritisch gesehen.

So stellt die Absenkung des Garantiezinses zum 1. Januar 2012 auf 1,75 Prozent für das Neugeschäft (bestehende Lebensversicherungspolicen sind von der Absenkung nicht betroffen) die Aktuare vor große Herausforderungen. Die gesamte Produktlandschaft muss bis Jahresende neu kalkuliert und in den IT-Systemen implementiert werden.

Insbesondere die Kalkulation geförderter Produkte - wie zum Beispiel von Riester-Renten - wird durch den neuen deutlich geringeren Garantiezins erheblich erschwert. Bei diesen Produkten ist eine Garantie der eingezahlten Beiträge zum Rentenbeginn gesetzlich vorgeschrieben und die Beitragsgarantie muss zunächst alleine auf Basis des aktuellen Garantiezinses - ohne Berücksichtigung zukünftiger Überschüsse - kalkuliert werden. Hierfür müssen und werden die Aktuare in den nächsten Monaten geeignete Lösungen finden.

Aus Sicht der Kunden und der Vermittler stellt die Absenkung des Garantiezinses allerdings keine relevante Verschlechterung der Lebensversicherungsprodukte dar. Für die Versicherungsnehmer ist die Gesamtverzinsung inklusive der laufenden Überschüsse und der Schlussüberschüsse entscheidend. Und hier bietet die Branche ihren Kunden im Schnitt immer noch eine sehr attraktive Verzinsung von über 4,5 Prozent an. Der Gleichbehandlungsgrundsatz stellt dabei sicher, dass allen Kunden - egal welcher Garantiezins ihren jeweiligen Tarifen zugrunde liegt - eine vergleichbare Gesamtverzinsung gewährt wird.

Unisex-Urteil: "Mischungsverhältnis" als neue Unbekannte

Ganz anders verhält es sich aus Kundensicht mit dem Urteil des EuGH, das die Versicherer ab dem 21. Dezember 2012 dazu zwingt, geschlechtsneutral kalkulierte Produkte anzubieten. Gerade dieses Urteil wird inzwischen auch in der Presse von verschiedenen Seiten scharf kritisiert, da es insgesamt eine unnötige Verschlechterung für die Versicherungskunden zur Folge haben wird. Konnten Versicherungsmathematiker bisher auf Basis valider Statistiken differenziert für beide Geschlechter kalkulieren, so muss nun in der Kalkulation eine weitere Unbekannte berücksichtigt werden, nämlich das "Mischungsverhältnis" der beiden Geschlechter in den Versicherungs-Kollektiven. Und es ist unmöglich vorher zusehen, wie sich dieses Mischungsverhältnis in der Zukunft durch das EuGH-Urteil verändern wird. Da Aktuare gemäß Aufsichtsrecht zu einer vorsichtigen Kalkulat ion verpflichtet sind, müssen ausreichende Sicherheiten hinsichtlich dieses Mischungsverhältnisses einkalkuliert werden, was die Produkte letztlich für alle Versicherungsnehmer verteuern wird.

In der Lebensversicherung wird dies beispielsweise dazu führen, dass sich Risikolebensversicherungen für Frauen verteuern werden, Rentenversicherungen dagegen für Männer. Zwar werden die Kunden an den durch die zusätzlich einzukalkulierenden Sicherheiten entstehenden Gewinnen wiederum beteiligt, sodass ein gewisser Ausgleich über die Überschussbeteiligung erfolgt, eines ändert jedoch auch der EuGH nicht durch sein Urteil: die unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und Frauen.

Bei diesem Urteil lohnt sich auch ein Blick auf andere Versicherungssparten. In der Sachversicherung zum Beispiel gibt es zwar nur bei wenigen Produkten eine geschlechtsspezifische Kalkulation, dort sind die Auswirkungen für die Kunden aber umso gravierender. So ist damit zu rechnen, dass sich die Kfz-Prämien für junge Autofahrerinnen deutlich verteuern werden, da deren - im Vergleich zu den gleichaltrigen Männern - deutlich vorsichtigeres Fahrverhalten nicht mehr belohnt werden darf.

Die schwerwiegendsten Konsequenzen dürfte das "Unisex-Urteil" jedoch für die private Krankenversicherung haben. Hier hat der deutsche Gesetzgeber bislang nicht nur eine geschlechtsabhängige Kalkulation vorgeschrieben, sondern den Versicherungsnehmern auch ein Wechselrecht zwischen verschiedenen Tarifen ermöglicht. Würden die Unternehmen künftig nur für die neuen Kunden ab dem 21. Dezember 2012 Unisex-Tarife anbieten, so könnten diese Neukunden (Männer wie Frauen) in die für sie meist günstigeren Männer-Alttarife wechseln, wohingegen jüngere Frauen beziehungsweise ältere Männer aus den Alttarifen in die für sie meist günstigeren neuen Unisex-Tarife wechseln würden. Dies hätte bizarre und für die Versicherten nicht mehr erklärbare Verwerfungen in den Prämien zur Folge.

Die Konsequenz hieraus ist, dass in der privaten Krankenversicherung auch bestehende Tarife "umgestellt" werden sollten, wenn dies die nationale Umsetzung des EuGH-Urteils ermöglicht.

Unnötige Komplexität mit hohem IT-Aufwand

Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) bedauert das EuGH-Urteil, da es unnötige Komplexität verbunden mit hohem IT-Aufwand verursacht und letztlich kein Versicherungsnehmer dabei gewinnen wird. Dennoch wird sich die DAV in die aktuelle Diskussion bezüglich der Umsetzung der europäischen Vorgaben in nationales Recht einbringen, um eine sachgerechte fachliche Ausgestaltung zu erreichen.

Die aktuellen Herausforderungen für die deutschen Versicherer, insbesondere für die Lebensversicherer, könnten auch durch das 2013 in Kraft tretende neue europäische Aufsichtssystem "Solvency II" noch verstärkt werden, wenn es nicht gelingen sollte, entscheidende Verbesserungen bei der Umsetzung dieses europäischen Projektes zu erreichen.

Sovency II: Nachbesserungsbedarf bei Kapitalanforderungen

Solvency II misst nicht nur, ob die Unternehmen eine für die eingegangenen Risiken angemessene Eigenkapitalausstattung vorweisen, sondern macht auch umfassende Vorgaben zum Risikomanagement und zur Offenlegung von Informationen gegenüber der Öffentlichkeit beziehungsweise der Aufsicht. Hier gibt es aktuell aus Sicht der deutschen Lebensversicherer zwei Kernprobleme: zum einen die hohe Komplexität der neuen Aufsichtsregeln, deren Umsetzung enorme Kosten verursachen wird, die letztlich die Versicherungskunden zu tragen haben, zum anderen die aus deutscher Sicht noch nicht sachgerechte Ausgestaltung der risikobasierten Kapitalanforderungen.

Bezüglich der Kapitalanforderungen ist die Problematik die Folgende: Die Grundlage für die von Solvency II geforderte "marktnahe" Bewertung von künftigen Versicherungsleistungen (zum Beispiel von Renten) bildet eine sogenannte Zinsstrukturkurve, die auf Basis von aktuellen am Markt zu beobachtenden Zinsen zu ermitteln ist. Zur Berechnung der Rückstellungen unter Solvency II sind die künftig zu erwartenden Leistungen mit dieser Zinskurve zu diskontieren.

Für versicherungstechnische Verbindlichkeiten selbst gibt es aber keine Märkte und auch keine beobachtbaren Marktwerte. Dies betrifft insbesondere die sehr langfristigen Leistungszusagen. Für die beim Lebensversicherer angesparten Gelder, die zur Erfüllung dieser Leistungszusagen dienen, gibt es noch nicht einmal passende Anlagemöglichkeiten mit vergleichbar langen Laufzeiten. Ein einfaches Fortschreiben der heute beobachteten Marktdaten reicht deshalb für eine sachgerechte Bewertung unter Solvency II nicht aus. Vielmehr bedarf es eines langfristigen Gleichgewichtszinses zur Bewertung langlaufender Verpflichtungen und eines finanzmathematisch sinnvollen Übergangs zwischen den Marktdaten und diesem Gleichgewichtszins. Nur so lassen sich die extremen, durch Artefakte der Zinsmodellierung verursachten Schwankungen der Solvenzbilanz - im Extremfall könnte ein Unternehmen heute hochsolvent sein und morgen insolvent - vermeiden.

Der Ansatz von Solvency II, Kapitalanforderungen in Abhängigkeit vom tatsächlichen ökonomischen Risiko zu bestimmen, ist aus Sicht der DAV grundsätzlich ein Fortschritt gegenüber dem heutigen, mechanischen Solvenzsystem. Allerdings stellt die Instabilität und Unangemessenheit der bisherigen Vorschläge zur Umsetzung von Solvency II die Sinnhaftigkeit des neuen Ansatzes in Frage. Die DAV hofft deshalb, dass im Zuge der europäischen Diskussion in den kommenden Monaten noch eine aus ihrer Sicht sinnvolle Ausgestaltung des Systems - insbesondere bei der Festlegung der risikofreien Zinsstrukturkurve zur Bewertung von Versicherungsverpflichtungen - erreicht werden kann. Einen inhaltlichen Diskussionsbedarf haben die Europäische Kommission und der Präsident der Europäischen Aufsichtsbehörde an dieser Stelle auch bereits signalisiert.

Nur wenn es gelingt, die Balance zwischen angemessener Berücksichtigung der Risiken bei gleichzeitiger Stabilität der Ergebnisse zu halten, wird Solvency II eine Verbesserung bei der risikoorientierten Unternehmenssteuerung bringen. Ansonsten droht durch Fehlanreize sogar eine Verschlechterung gegenüber dem Status quo.

Auch bezüglich der Komplexität und dem Umfang der neuen Anforderungen gibt es Gespräche auf höchster politischer Ebene mit dem Ziel, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen nicht zu überfordern. Erklärtes Ziel des Projektes ist es, mehr Sicherheit im Versicherungssektor zu schaffen und nicht eine Marktbereinigung herbeizuführen.

Neue Garantiemodelle?

Spannend und offen bleibt die Frage, welche Auswirkungen Solvency II auf die Produktlandschaft deutscher Versicherer haben wird. Während für die Produkte der Sach- und Krankenversicherer nur geringe Auswirkungen erwartet werden, sieht dies in der Lebensversicherung völlig anders aus. Werden sich die Unternehmen weiterhin Produkte leisten können, bei denen sie Zinsgarantien über viele Jahrzehnte hinweg geben? Je höher und je längerfristig die gegebene Garantie ist, desto höher werden die Kapitalanforderungen an die Unternehmen sein. Oder wird künftig ein andersartig ausgestalteter Garantiezins gesetzlich vorgeschrieben? Vielleicht wird es auch gar keine gesetzliche Vorgaben mehr geben und dann zu einer Vielzahl unterschiedlichster Garantiemodelle kommen, zwischen denen die Kunden wählen können.

Hier müssen die Diskussionen der nächs ten Wochen und Monate abgewartet werden, bevor sich eine Tendenz herauskristallisieren wird. Wie auch immer die zukünftigen Garantien ausgestaltet werden, die Attraktivität deutscher Lebensversicherungsprodukte wird dadurch nicht leiden. Schließlich ist es nicht alleine die Garantie, sondern vor allem die Gesamtrendite (inklusive Überschüsse) in Verbindung mit den sehr geringen Risiken, die den Reiz der Produkte für die Kunden ausmachen.

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