Leitartikel

Die Freiheit, die wir meinen

KO - Vor 50 Jahren hat die Deutsche Bank zum ersten Mal ziemlich gewöhnlichen Menschen einen Kredit verkauft. Sie war nicht ganz die einzige Bank, die dieses tat, und nicht ganz die erste. Ein paar Sparkassen, unter bestimmten Bedingungen einige Volksbanken, allemal die Teilzahlungsinstitute nach Muster der "Kundenkreditbanken" Walter Kaminskys akzeptierten, was wir heute "den Konsumenten" nennen, durchaus auch. Aber dass der Financier von Krupp und Siemens, von Bagdadbahn und Perukupfer, dass ausgerechnet die Deutsche Bank ins ordinäre Getümmel hinabstieg, das ist ein Symbol der Zeitwende gewesen. Eine Wende zu besseren Zeiten?

Zunächst einmal: Ja, unbedingt - falls wir einfach einmal annehmen, der Mensch an sich trage seine Bezeichnung als Homo sapiens zu Recht. Er sei nicht nur hilfreich und gut, sondern er sei von Natur aus (! ) vernünftig, klug, urteilsfähig, aufmerksam, lernbegierig, selbstsicher, ausdrucksgewandt ... Es hat zwar seit der Aufklärung nur bescheidene zwei Jahrhunderte lang gedauert, bis man dem gemeinen Volk dank seiner angenommenen Grundausstattung via Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit die volle politische Selbstbestimmung zugestand. Aber immerhin nicht zuletzt auch in der Bundesrepublik:

Die neue deutsche Demokratie lebte die politische und soziale Emanzipation. Die wirtschaftliche Gleichberechtigung freilich nur bedingt: Schuldenmachen von kleinen Leuten? Einfach unmoralisch!

Mit der Einführung des Konsumentenkredits gerade und ausgerechnet durch die Deutsche Bank siegte ein Stückchen bürgerliche Freiheit über ein Restchen bürgerliche Moral. Zum Glück?

Nein, wenn wir einmal annehmen, dass die Zeitgenossen keineswegs so gescheit wie oben konstruiert sind. Sondern dass sie triebig allen Lastern frönen, allein den unverzüglichen Genuss erstreben und die ganze Sache mit Soll und Haben weder begreifen noch begreifen wollen. (Wohlgemerkt, diese Annahme bezieht sich nicht auf Banker 2008/2009, sondern auf Menschen an sich.) Wenn man also dem gesammelten Unverstand leider nicht das politische Wahlrecht wieder streichen kann, dann muss man ihn sehr wohl doch wenigstens davor bewahren, sich in der Schuldenfalle geradezu zu räkeln. Von Staats wegen behütet und reglementiert. Denn als Verbraucher ist der Mensch halt unmündig und dumm! Allemal?

Vielleicht, na ja, nicht ganz. Vielleicht, nehmen wir nun noch rücksichtsvoll an, vielleicht hätte doch auch der triebige Vollzeitschuldner noch lichte Momente, wenn, ja wenn die Banken ihm nur ein wenig helfen würden. Wenn, so meinen wohlgesinnte Menschenschützer, wenn sie sich noch deutlich mehr Mühe gäben, dem Kunden genau genug zu erklären, warum besonders der "Privatkredit" ein echtes Geschäft für beide Seiten sein muss. Kein bloßer Abschluss, keine reine Gnade, keine raffinierte Ausbeutung. Warum ausgerechnet die lieben Sparkassen ihre Zinsklausel erst höchstrichterlich haben streichen müssen, verursacht Unwohlsein. Der Erfolg der Direktbanken im "schnellen, einfachen" Verbraucherkredit, ist kein Zufall und keine bloße Preisfrage.

50 Jahre allgemeiner Konsumentenkredit sind trotz allem ein Erfolg der Mühen um mehr Mündigkeit des Bürgers. Und für Deutschland zeigt sich just dieser Krisentage ein feiner Systemeffekt. Die hier übliche Anbindung des Privatkredits an das Privatkonto als Direct Debit hat das Retail in diesem unseren Lande meistens schön ordentlich bleiben lassen. Viel ordentlicher als die Konsumentenschulden in den Kreditkartenländern. Eckart van Hooven (siehe Seite 18) hat's immer gewusst.

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