Lobbyarbeit

Interessenvertretung hat viele Facetten

Der Begriff des "Lobbyismus" weckt bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern negative Assoziationen. Lobbyismus wird mit dunklen Machenschaften, Manipulationen oder gar Bestechung verbunden. "Werden Abgeordnete von Lobbyisten gelenkt - entscheiden sie oft gar nicht mehr selbst?" diese Frage steht immer wieder im Raum. Solche Vorstellungen und Befürchtungen bestehen nicht zuletzt bezüglich der Finanzpolitik. Banken und Versicherungen werden als mächtige Interessenvertreter mit direkten Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungsträger angesehen. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, gilt als Inbegriff des Strippenziehers. Stellen Lobbyisten tatsächlich die Unabhängigkeit von gewählten Abgeordneten in Frage? Gefährdet Lobbying offene und gemeinwohlorientierte Entscheidungsprozesse? In meiner Tätigkeit als Abgeordnete habe ich eine facettenreiche Sicht auf den Lobbyismus gewonnen. Lobbyismus ist einerseits eine legitime Form der Interessenvertretung in der pluralistischen Demokratie. Andererseits sehe ich durchaus die Gefahr, dass Lobbyismus Machtungleichgewichte zwischen den Einzelinteressen verstärkt und so zu einseitigen Entscheidungen beiträgt.

Eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Lobbyismus muss sowohl seinen Nutzen als auch die damit verbundenen Probleme einbeziehen. Die Bedeutung und die Wirkungen des Lobbyismus lassen sich am besten verstehen, wenn die komplexen Anforderungen parlamentarischer Entscheidungsprozesse und die dabei von Interessenvertretern gespielte Rolle betrachtet werden.

Beiderseitiges Interesse an Kontakten

Interessenvertreter wollen politische Entscheidungen in ihrem Sinne beeinflussen. Dennoch nutzen fast alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier während des Gesetzgebungsprozesses auch die Kontakte zu Lobbyverbänden und deren Informationen. Wegen der zunehmenden Komplexität und der steigenden Zahl an Gesetzgebungsvorgängen wird es für mich und meine Kolleginnen und Kollegen immer schwerer, sich rechtzeitig einen genauen Überblick über die verschiedenen Themen und damit zusammenhängenden Probleme zu verschaffen. Dies gilt auch für die Finanzpolitik und wird spätestens seit der Finanzmarktkrise allen Beteiligten drastisch vor Augen geführt.

Die Finanzmarktkrise hat die Notwendigkeit einer umfassenden Reformierung der gesamten Finanzmarktregulierung offenbart. Dabei muss eine Vielzahl von Regulierungsmaßnahmen möglichst kurzfristig auf den Weg gebracht und sowohl national als auch international miteinander abgestimmt werden.

Auf der Reformagenda stehen sowohl höhere Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an einzelne Finanzmarktakteure (Basel III und Solvency II), Maßnahmen zur Verbesserung der Finanzmarktstabilität (Regulierung des außerbörslichen Derivatehandels, Verbot schädlicher Finanzmarktinstrumente, Regulierung des High- Frequency-Handels), eine Stärkung der Finanzmarktaufsicht als auch die Schaffung effektiver Instrumente des Krisenmanagements (Rekapitalisierung und Restrukturierung von Finanzinstituten). In dieser Situation ist der Rückgriff auf das Know-how von Interessenvertretern durchaus bedeutend. Interessenvertreter können im Idealfall die benötigten Informationen kurzfristig und verständlich aufbereitet zur Verfügung stellen.

Vor allem aber gilt: Wenn Parlamentarier nicht einfach nur die Vorschläge der Exekutive übernehmen wollen, dann müssen sie sich auch mit anderen Sichtweisen beschäftigen. Und dazu gehören natürlich auch die Bewertungen durch betroffene Branchen oder Verbände. Außerdem können Praktiker die Auswirkungen von Gesetzen oftmals sehr gut abschätzen. An Kontakten zwischen Lobbyisten und politischen Entscheidungsträgern besteht somit von beiden Seiten ein Interesse.

Austausch mit Verbänden und Einzelinstituten

Bei der Finanzmarktregulierung haben sich vor allem die Verbände des Kredit - und Versicherungsgewerbes und der Investmentbranche als wichtige Ansprechpartner erwiesen. In ihren Stellungnahmen und im Rahmen besonderer Vortragsveranstaltungen haben sie frühzeitig die komplexen Regelungen der verschiedenen Gesetzes-, Richtlinien- und Verordnungsvorhaben erläutert und auf die aus ihrer Sicht wesentlichen und kritischen Punkte hingewiesen. Die Verbände haben fachliche Anfragen schnell und umfassend beantwortet.

Neben dem Austausch mit den Verbänden sind auch Kontakte mit Einzelinstituten eine wichtige Informationsquelle. Sie stellen eine wichtige Ergänzung zu den Ver bandskontakten dar, da sie spezifische Problemlagen einzelner Unternehmen deutlich machen, die sich durchaus von denen der Verbandsmehrheit unterscheiden können.

Formale und informelle Ebene

Die Zusammenarbeit mit Lobbyisten findet auf formaler und informeller Ebene statt.

Eine formalisierte Kooperation erfolgt bereits am Beginn des Gesetzgebungsverfahrens, wenn die Ministerien bei der Ausarbeitung von Referentenentwürfen Verbändeanhörungen durchführen. Der wichtigste formalisierte Kontakt bei den parlamentarischen Beratungen besteht in den öffentlichen Anhörungen der Fachausschüsse des Bundestages. Verbände erhalten bei diesen Anhörungen die Gelegenheit, zu Fachthemen und Gesetzesvorhaben öffentlich Stellung zu nehmen. Der Finanzausschuss hat zu sämtlichen Vorhaben der Finanzmarktregulierung solche Anhörungen durchgeführt und auch die Verbände des Kredit- und Versicherungsgewerbes dazu eingeladen. Die Relevanz dieser Anhörungen wird von vielen Beteiligten als relativ gering eingeschätzt, da sie erst kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens stattfinden und die wesentlichen politischen Entscheidungen meistens schon gefallen sind. Ihre Wirkung darf aber im Falle eines hohen Medieninteresses nicht unterschätzt werden. Interessenverbände können Kritik öffentlich formulieren und damit durchaus Druck auf die Entscheidungsträger ausüben.

Die meisten Kontakte zwischen Politik und Interessenvertretern finden außerhalb formalisierter Gesetzgebungsprozesse statt. Festliche Empfänge sind dabei die absolute Ausnahme. Die informale Zusammenarbeit ist vielmehr von täglicher Routinearbeit geprägt, bei der Fachinformationen abgefragt, Verfahrensstände ausgetauscht und Handlungsoptionen bewertet werden. Für die Abgeordneten des Bundestages sind insbesondere frühzeitige Verbandsinformationen über die Richtlinien - und Verordnungsvorschläge der Europäischen Kommission unverzichtbar, da die europäische und die nationale Finanzmarktgesetzgebung mittlerweile untrennbar miteinander verbunden sind.

Kooperationsbereitschaft muss Grenzen haben

Als Abgeordnete bin ich mir bewusst, dass die Verbände und Unternehmen neben dem objektiven Informationsangebot immer auch ihre Sichtweise übermitteln. Interessenverbände können sich außerdem aufgrund unterschiedlicher Ressourcen und Organisationsgrade in unterschiedlichem Maße Gehör verschaffen. Das Informationsangebot großer Verbände ist aus diesen Gründen in der Regel attraktiver als das kleiner Organisationen.

Die Kooperationsbereitschaft zwischen Politik und Interessenvertreter muss deshalb klare Grenzen haben. Es darf keine exklusiven Kommunikationsbeziehungen zwischen Politikern und einzelnen Interessenvertretern geben. Politische Entscheidungsträger müssen sich ihre Offenheit für verschiedene Standpunkte bewahren. Dazu sind Kontakte mit möglichst verschiedenen Interessenverbänden erforderlich.

Die persönliche Bewertung obliegt den Abgeordneten

In der Finanzmarktregulierung suche ich deshalb nicht nur das Gespräch mit den Verbänden der Kredit- und Versicherungswirtschaft, sondern informiere mich gleichzeitig auch bei Wissenschaftlern, Verbraucherschützern, Konkurrenzunternehmen oder Aufsichtsbehörden.

Die Entscheidung, ob und inwieweit ich den von den Lobbyisten vorgebrachten Argumenten folge, liegt am Ende immer bei mir! Ich sehe das als eine meiner Kernaufgaben: im Rahmen einer Gesetzgebungsarbeit möglichst viele Argumente sammeln - diese dann aber persönlich zu bewerten, in eine Prioritätenreihenfolge zu bringen und abschließend meine Meinung zu bilden und entsprechend zu entscheiden.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X