Informationstechnik

IT-gestützte Produktentwicklung: Informationen für alle Unternehmensbereiche

Bei der Neuentwicklung von Finanzdienstleistungsprodukten steht der
Aspekt, den Anforderungen der Kunden hinsichtlich Zufriedenheit und
Nutzen in hohem Maße Rechnung zu tragen, im Vordergrund. Vor dem
Hintergrund der Verkürzung der Lebenszyklen für Bankprodukte steigt
das Risiko, mit einer an sich profitablen Produktinnovation ökonomisch
zu scheitern. Aus diesen Gründen ist es notwendig, den
Produktentwicklungsprozeß stärker zu unterstützen und in die
operativen Systeme zu integrieren. Die Orientierung an den
traditionellen Spartengrenzen, wie Spar oder Giro ist zugunsten einer
ganzheitlichen, spartenübergreifenden Sicht abzulösen.
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Die Konstruktionsidee beruht auf folgenden Annahmen und
Schlußfolgerungen: Bankgeschäfte beziehungsweise -produkte lassen sich
durch Regeln beschreiben. Diese Regeln können informationstechnisch
interpretiert werden. Und neue Produkte können durch Kombination der
definierten Regeln entstehen.
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Eine spartenübergreifende Betrachtungsweise erlaubt die Identifikation
gleicher beziehungsweise ähnlicher Informationszusammenhänge. So gibt
es zum Beispiel bei der Zinsrechnung, der Kontoeröffnung, gemeinsame
nahezu kongruente Funktionalitäten.
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Gemäß dem Postulat, daß homogene Verrichtungen zusammengefaßt werden
sollen, entsteht zwingend die Anforderung nach einer
spartenübergreifenden Modellierung des Anwendungssystems. Die
Forderung nach einer spartenübergreifenden Modellierung wird des
weiteren durch die Problemstellung bei der Erstellung individueller
kundenorientierter Finanzdienstleistungen unterstützt.
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Spartengrenzen auch datentechnisch auflösen
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In vielen Fällen sind spartenübergreifende Produktkombinationen
einzelnen spartenorientierten Einzelprodukten überlegen. Aber unter
anderem durch eine institutionelle, organisatorische und
informationstechnische Trennung wird die Erstellung von
Produktkombinationen erschwert.
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Eine spartenübergreifende Modellierung künftiger Anwendungssysteme
hinsichtlich der Funktionsseite ist aber nur dann sinnvoll, wenn die
Spartengrenzen auch datenlogisch aufgelöst werden und eine Reihe von
Objekten, wie zum Beispiel Produkt, Vereinbarung oder Konto,
vereinheitlicht wird. Diese Möglichkeit beruht auf der Tatsache, daß
in den implementierten, spartenorientierten Datenbasen eine große
Anzahl semantisch gleichartiger Datenelemente existiert. Neben anderen
Vorteilen ergibt sich durch das Erreichen dieses Zieles eine schnelle
Reaktionsfähigkeit auf Anforderungen des Marktes hinsichtlich neuer
Produkte (Innovationen).
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Produktgestaltung durch Kombination von Parametern
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Die einheitliche, neue Sicht auf die Objekte zeigt, daß viele
Datenelemente durch Parameter darstellbar sind. Eine Generalisierung
aller möglichen Parameter über alle Spartengrenzen schafft die
Möglichkeit, neue Produkte allein durch eine regelgesteuerte
Kombination der Parameter zu modellieren.
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Die Identifikation von Bankprodukten geschieht über produktneutrale
oder -spezifische Haupt- und Nebenmerkmale. Sowohl die
produktneutralen als auch die produktspezifischen Informationen werden
in informationstechnisch interpretierbare Informationen transformiert,
die im folgenden als Produkt- beziehungsweise Konditionsparameter
bezeichnet werden sollen.
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Ein Bankprodukt wird durch die Zuordnung von Parametern
beziehungsweise durch deren Ausprägungen charakterisiert. Die
Parameter auf der Abstraktionsebene Produkt oder Kondition definieren
einen Produkt- beziehungsweise Konditionsrahmen. Den Entitätsmengen
Produkt und Kondition werden die Parameter zugeordnet. Die
Parameterausprägungen werden durch die Entitätsmenge Parameter-Typ
klassifiziert.
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Der Modellierungsrahmen wird durch sich gegenseitig ausschließende
Parameterkonstellationen, wie zum Beispiel nicht kontextfrei,
modellinterne Integritätsbedingungen oder juristische,
geschäftspolitische sowie betriebswirtschaftliche Restriktionen
eingegrenzt. Zudem besteht die Möglichkeit, daß bei einigen Parametern
mehrere Ausprägungen einer der Entitätsmengen Produkt oder Kondition
zugeordnet werden müssen.
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Obligatorische und fakultative Parameter
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Des weiteren ist die Möglichkeit von Referenzbeziehungen innerhalb der
Parameter nicht auszuschließen. Eine erst grobe Klassifizierung der
Parameter nach ihrer Notwendigkeit liefert die Aufteilung in
obligatorische sowie fakultative Parameter.
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So ist zum Beispiel bei der Eröffnung eines Kontos die Definition der
Auszugerstellungskriterien obligatorisch,
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während die Eingabe eines Kredites fakultativ ist.
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Die Parameter werden in großrechnerbasierten Datenbanken gespeichert,
ebenso die Produktionsregeln und die Integritätsbedingungen.
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Möglichst wenig Parameter
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Ziel muß es sein, die Anzahl der Parameter zu minimieren, da dadurch
die Wiederverwendungsmöglichkeiten der für die Produktadministration
benötigten Funktionalitäten erhöht wird. Die Identifikation
produktübergreifender Prozeßschritte unterstützt
informationstechnische Implementierungsmöglichkeiten. Die Generierung
des Produktrahmens aufgrund der vordefinierten Regeln ist Aufgabe des
Produktmanagers. Das geschieht in einem interaktiven Prozeß (Dialog),
wobei die Produktionsregeln diesen Vorgang steuern.
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Das Handlungsspektrum des Kundenberaters, der im Beratungsgespräch mit
dem Kunden die Konditionen für diesen Kunden definiert, wird durch den
Produktrahmen, die Konditionen und die individuelle Kompetenz des
Beraters begrenzt. So kann ein Kundenberater sicherlich keinen
Großkredit einräumen, die dafür benötigte Kompetenz liegt beim
Vorstand beziehungsweise beim Kreditausschuß.
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Basissystem für beratungsunterstützende Systeme
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Das Ergebnis dieses Abstraktions- und Modellierungsprozesses ist ein
spartenübergreifendes Informationssystem, in dem der
Produktentwicklungsprozeß integraler Bestandteil des Gesamtsystems
ist.
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Des weiteren dient dieser Ansatz als Basissystem für
beratungsunterstützende Systeme, zum Beispiel im Allfinanzbereich und
der Finanzierungsberatung, und liefert Informationen für
differenzierte Analysen, wie zum Beispiel Risikomanagement,
Kunden-/Kontenkalkulation, Bonitätsanalyse oder
Kreditwürdigkeitsprüfungen. Die Konditionsparameter und ihre Attribute
werden in einem Parameterkatalog hinterlegt. Für jeden Parameter steht
eine Beschreibung zur Verfügung. Dabei sind die Wirkung der Kondition
wie auch die Bedeutung der einzelnen Parameter/Attribute zu erläutern.
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Soll- und Kann-Parameter
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Die Parameter lassen sich zu Gruppen zusammenfassen (zum Beispiel
Administration oder Vereinbarungssumme wie Mindest-Höchstbeträge) und
nach ihrer Notwendigkeit gliedern.
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Obligatorische Parameter müssen bei der Gestaltung eines Produktes
unbedingt definiert werden, als Beispiel mögen der Produktname und der
Mindestanfangsbetrag dienen.
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Die fakultativen Parameter sind in Soll- und Kann-Parameter
strukturiert. Informationen, die zur Erläuterung und Beschreibung des
Umfeldes dienen, wie das Produktäußere (Verpackung), werden als
Soll-Parameter bezeichnet. Sie sind nicht zwingend erforderlich und
dienen unter anderem als Information für den Kundenberater. Beispiele
sind Zuschlags- und Rateninformationen.
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Kann-Parameter können abhängig von einem anderen Kann-Parameter zum
Muß-Parameter mutieren. Wird bei einem Tilgungskredit eine Mindestrate
definiert, müssen auch Informationen über die Modalitäten der
Ratenzahlung hinterlegt werden. Die Möglichkeit, daß sich Parameter
gleichzeitig ausschließen, existiert ebenfalls.
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Logische Abhängigkeiten als Regeln
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Die Aufteilung in eine der drei Kategorien ist von besonderer
Bedeutung, da sehr viele Aktionen zur Konsistenzsicherung des
Produktentwicklungsprozesses darüber gesteuert werden. Beim Einrichten
der Parameter werden einzelne Attribute als produktabhängig oder
produktunabhängig (produktneutral) definiert.
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Aus den Parametern ergeben sich logi-sche Abhängigkeiten. Diese
beschreiben funktionale oder relationale Interdependenzen zwischen den
Parametern. Primär trifft das auf korrespondierende Parameter zu. So
muß zum Beispiel die Laufzeit eines Darlehens zwischen der Mindest-
und der Höchstlaufzeit liegen, und die Mindestlaufzeit muß kleiner
sein als die Höchstlaufzeit. Diese Abhängigkeiten lassen sich relativ
leicht durch Regeln interpretieren.
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Feste Werte oder Relationen
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Der bestimmende Wert eines Parameters kann auf zweierlei Art
festgelegt werden: als fester Wert oder als Relation auf allgemeine
Werte, die in einer Parameterreferenzstruktur hinterlegt werden.
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Jeder Wert in der Referenzstruktur kann ein absoluter Wert sein oder
wiederum eine Referenz auf einen anderen Referenzwert beinhalten,
eventuell mit einer zusätzlichen Varianz. So wäre es denkbar, daß sich
der Sollzinssatz für Girokonten aus dem Diskontsatz der Deutschen
Bundesbank zuzüglich einem institutsindividuellen Zuschlag ergibt.
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Bankprodukte werden hinsichtlich ihrer Merkmale identifiziert (zum
Beispiel Laufzeit oder Kreditart). Diese Merkmale werden anschließend
in informationstechnisch interpretierbare Informationen, die Produkt-
und Konditionsparameter umgesetzt.
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Produkterstellungsprozeß straffen
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Die Identifikation und Definition relevanter Parameter erfolgt
zunächst durch Abstraktion aus den spartenorientierten Systemen, ohne
den Überblick über das künftige geplante spartenübergreifende
Produktangebot zu verlieren.
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Im nächsten Schritt im Sinne von Lean Production ist zu überprüfen, ob
das Produktangebot nicht mit einer geringeren Anzahl Parameter
gewährleistet werden kann. Ziel muß es sein, das gesamte vorhandene
Reduktionspotential zu nutzen.
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Dies strafft den Produkterstellungsprozeß und eröffnet
Flexibilisierungsmöglichkeiten.
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Daß Reduktionspotentiale vorhanden sind, ergibt sich schon allein aus
den Redundanzen in den spartenorientierten Anwendungssystemen.
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Die logischen Interdependenzen zwischen den Parametern müssen bei der
Interpretation der Regeln beachtet werden. Diese resultieren
hauptsächlich aus Integritäts- und Plausibilitätsüberlegungen sowie
aus funktionalen und relationalen Abhängigkeiten.
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Wichtige Gründe für ein regelbasiertes System sind
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Abhängigkeiten aus geschäftspolitischen Aspekten,
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betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten (zum Beispiel Risikoaspekte)
und
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Abhängigkeiten aus gesetzlichen Restriktionen.
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Im allgemeinen fordern diese Abhängigkeiten, daß bestimmte
Parameterausprägungen nicht miteinander kombiniert werden sollen oder
dürfen. Komplexere Restriktionen treten häufig im Zusammenhang mit der
Konditionsgestaltung auf.
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Gesetzliche Restriktionen berücksichtigen
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In einem Zinstableau für Festgeldeinlagen (Termingelder) ist der
Zinssatz unter anderem abhängig von der Laufzeit der Einlage, das
heißt mit steigender Laufzeit wird ein höherer Zinssatz gewährt. Ein
Verstoß gegen diese Regel führt zu einem Hinweis wie zum Beispiel:
"Zinssatz bei Einlagen über sechs Monate muß höher sein als bis sechs
Monate" und zur Abweisung der Transaktion.
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Als Beispiel für Restriktionen durch gesetzliche Bestimmungen möge
folgender Hinweis dienen: Die Gewährung eines Dispositionskredites für
einen minderjährigen, nicht voll geschäftsfähigen Kontoinhaber ist
nicht gestattet.
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Problembeschreibung durch Algorithmen
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Der regelbasierte Produktentwicklungsprozeß ist auf der
Abstraktionsebene Parameter - Produkt positioniert. Um diesen Prozeß
durch Regeln abbilden zu können, sind folgende Bedingungen zu
erfüllen:
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Die Anforderungen sind durch vollständige und genügend strukturierte
Problem- und Entscheidungssituationen gekennzeichnet.
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Die Probleme lassen sich durch Algorithmen beschreiben.
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Die Ergebnisse sind operationalisierbar.
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Konzepualisierung und Regelvalidierung
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Die bei den Anforderungen verwendeten Regeln können logisch geordnet
und strukturiert werden. Unter Konzeptualisierung wird folgendes
verstanden: Analyse, Interpretation und Strukturierung der definierten
Regeln, Entwickeln eines konzeptionellen Modells, Integration der zur
Problemstellung notwendigen Regeln in das konzeptuale Modell,
Homonyme, Synonyme oder lückenhafte Darstellungen, die eine
Komplettierung des Modells verhindern, müssen eliminiert werden.
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Bei der Validierung der Regeln treten folgende Probleme auf:
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Die Vollständigkeit des Regelwerks bezüglich der Problemstellung kann
nicht genau beurteilt werden (Verletzung der Orthogonalitätsbedingung
bei Nicht-Vollständigkeit).
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Die Konsistenz der definierten Regeln kann nicht garantiert werden.
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Die Beurteilungsfähigkeit hinsichtlich der Konsistenz des Regelwerks
nimmt mit der steigenden Anzahl der Regeln ab (Komplexitätsproblem).
\
Durch statische Validierung werden die Regeln auf Vollständigkeit
geprüft. Eine Regel wird als fehlend identifiziert, wenn ein
bestimmtes Konsultationsergebnis erreicht wird, ohne daß dafür eine
Regel vorliegt. Im Rahmen der Produktentwicklung bedeutet dies, daß
ein bestimmtes Produkt beziehungsweise Merkmale, Ausprägungen gefunden
werden, aber die ergebnisbildende Regel nicht vorhanden ist.

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