Mittelstandsgeschäft

Offene Grenzen für offene Forderungen

Wie verhält sich ein kleines mittelständisches Unter nehmen, wenn seiner Auslandslieferung keine Bezahlung folgt? Weil ihnen eine belastbare Antwort auf diese Frage fehlt, verlieren Firmen fast 600 Millionen Euro pro Jahr. Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission einen Leitfaden für das grenz über schreitende Forderungsmanagement in Auftrag gegeben. Gedacht als Hilfestellung für viele Unternehmen, deren Forderungen im Dickicht rechtlicher und kultureller Unterschiede leicht auf der Strecke bleiben.

Für Großunternehmen und Konzerne hat das Thema grenzüberschreitenden Forderungen jedes Fragezeichen längst verloren. Mit anderen Sprachen, Rechtsgepflogenheiten und Mentalitäten umzugehen gehört hier längst zum Alltag. Ganz anders ist die Sache bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen gelagert - von dieser Alltagsnormalität sind sie noch weit entfernt. Deshalb ist der Leitfaden grundsätzlich so angelegt, dass auch ein Firmengründer ohne BWL-Studium eine praxistaugliche Anweisung für den Umgang mit Auslandsforderungen erhält. Die Europäische Kommission möchte mit der Aktion das Bewusst sein von Mittelständlern dafür stärken, dass Chancen und Möglichkeiten auch jenseits der Grenzen heimischer Märkte vorhanden sind. Gerade Klein- und Kleinstunternehmen sollen auf europäischer Ebene ermutigt werden, einen unternehmerischen Blick über die Grenzen zu werfen.

In diesem Sinne kommt das Handbuch als Arbeitsanleitung ganz pragmatisch und praxistauglich daher. Seine erste Regel zum erfolgreichen Umgang mit grenzüberschreitenden Forderungen lautet: Beherrsche die Grundregeln. Diese werden anschaulich erklärt. Insbesondere zwei große Themenfelder rücken in den Blick. Erstens: Wie verhindere ich, dass es überhaupt zu Zahlungsschwierigkeiten kommt; und zweitens: Was kann ich tun, wenn diese dennoch eintreten? Bei der Lektüre fällt ins Auge, dass dem Text keinerlei Brechstangen-Mentalität innewohnt, dass er stattdessen von Fingerspitzengefühl und Beziehungskompetenz getragen ist. So bleibt neben dem Wunsch zum zeitnahen Forderungseinzug immer auch der Wille erkennbar, das gute Verhältnis zum Kunden als ein schützenswertes Gut zu behandeln.

Trend zum Auslandsgeschäft

Der Leitfaden wird vielen Unternehmen eine willkommene Hilfestellung sein. Insbesondere jenem Teil des bundesdeutschen Unternehmertums, der nicht - wie beispielsweise der Maschinenbau - von einer hohen Affinität zum Export geprägt ist. Das sind nicht wenige. Man denke nur an die große Anzahl von Unternehmen, die traditionell im Endverbraucherbereich aktiv sind, kleinere Dienstleister oder Hersteller von Konsumgütern.

Dazu tritt die Eigendynamik der Märkte im Internetzeitalter, die vielen Zögernden und Unentschlossenen die Entscheidung aus der Hand nimmt. Denn wer heute einen Webshop ins Netz stellt, hat morgen die ersten Kaufanfragen aus dem Ausland in seinem Posteingang. Hier erleben wir eine schleichende Internationalisierung von Kleinunternehmen durch das Internet. Ihre Anzahl wächst in dem Maße, wie die Bereitstellung von Breitbandanbindungen und die Kosten für die Technikbereitstellung sinken.

Generell ist festzustellen, dass ebenso das Zusammenwachsen Europas den Trend zum Auslandsgeschäft vorantreibt. Noch vor zehn Jahren war ein Unternehmer mit erheblichen Hürden konfrontiert, wenn er nationale Grenzen überwinden und im europäischen Rahmen aktiv sein wollte. Beispielsweise war er aus steuerlichen und rechtlichen Gründen gezwungen, in seinen internationalen Zielmärkten eigene Niederlassungen zu gründen. Dies brachte Mehrbelastungen mit sich, die nur Großunternehmen schultern konnten. Heute sind wir einen Schritt weiter. Im Zuge der Harmonisierung von Gesetzen und Vorschriften rücken die 28 europäischen Mitgliedsländer zusammen. Unterschiedliche nationale Normen werden vereinheitlicht, um Handelsschranken abzubauen und einen gemeinsamen Binnenmarkt zu ermöglichen. Zahlreiche Richtlinien und Verordnungen vereinfachen die Durchsetzung von Forderungen und Ansprüchen.

Trotz dieser offensichtlichen Tendenzen in Richtung eines "barrierefreien" Europas verharren gerade kleinere Mittelständler oft in einer hartnäckigen Reserviertheit gegenüber einer internationalen Geschäftstätigkeit. Viele scheuen den Schritt ins Ausland, weil sie über die Regeln dieses Engagements allenfalls dunkle Ahnungen, aber keine klaren Kenntnisse besitzen. Oder sie schrecken davor zurück, weil sie die tatkräftige Unterstützung ihrer Hausbank vermissen.

Banken bei der Absicherung von Auslandsgeschäften

Immer noch versucht der klassische deutsche Unternehmer sein Geschäft über Bankkredite zu finanzieren. Das ist in der deutschen Unternehmenskultur so verankert. In angelsächsisch geprägten Ländern beispielsweise ist dies anders. Dort spielen Privatkapitalgeber eine wesentlichere Rolle. In Deutschland haben sich unter den spezifischen Bedingungen andere Sicherungssysteme für Kapitalgeber entwickelt als in anderen Ländern. Grundsätzlich engagieren sich deutsche Banken in der Finanzierung grenzüberschreitender Geschäftserweiterungen und versuchen, ihre Klienten bestmöglich zu unterstützen. Zur Absicherung des Finanzierungsgeschäftes dienen in erster Linie Bürgschaften, Versicherungen oder Bargeldhinterlegungen. Darüber hinaus wird mit der kreditgebenden Bank oft eine Forderungsabtretung vereinbart.

Tritt nun der Worst Case ein - das Kundenunternehmen gerät in Schräglage und wird notleidend - so findet ab einem bestimmten Punkt die Forderungsverwertung statt. Diese Verwertung wird von der Bank in aller Regel durch eine eigene Rechtsabteilung durchgeführt. Hier stoßen wir nun an die Grenze dessen, was von Rechtsabteilungen heute machbar ist. Denn Forderungen im Ausland müssen zwangsweise anders behandelt werden als die inländischen Forderungen. Das beginnt mit den benötigten Dokumenten und endet mit der Verwertung im Ausland. Hier sind viele Bankinstitute noch suboptimal aufgestellt. Oftmals bestehen keine organisierten Abläufe für diese Art der Forderungen. Die Zeitspanne zwischen dem Eintritt der Schuld und ihrem Einzug ist in vielen Fällen viel zu lang.

Umdenken in der Inkassobranche

Bei der Durchsetzung von Forderungen auf internationalem Parkett spiegelt der Leitfaden der Europäischen Kommission auf bemerkenswerte Weise ein Umdenken, das in den letzten Jahren in der Inkassobranche stattgefunden hat. Schuldzuweisungen als Cash-Flowfördernde Methode haben einer empathischen, weniger konfrontativen Sichtweise Platz gemacht. Wo früher jeder verspätete Rechnungseingang automatisch auf mangelnde Zahlungsmoral gebucht wurde, entwickelt sich zunehmend ein differenzierterer Blick. Weniger anklagend, mehr kooperativ. Dies gründet vielleicht auch in der Erkenntnis, dass ein großer Anteil der grenzüberschreitenden Zahlungsstörungen aus formalen Mängeln in der Rechnungsstellung oder Unebenheiten im Fakturaprozess resultiert.

Ein schönes Beispiel für diese neue Behutsamkeit ist das Vorgehen in der ersten Eskalationsstufe, sprich bei der ersten Mahnung. Wer sich darüber bewusst ist, wie konfrontativ viele Mahnungen immer noch formuliert werden, der wird über das eher indirekte, schonende Vorgehen des Leitfadens vielleicht verwundert sein. Regt dieser doch an, dem Kunden anstatt einer ersten Mahnung ein Formular zur Abfrage seiner Zufriedenheit zu schicken; verbunden mit dem vorsichtigen Hinweis auf die noch offene Forderung. Ein Musterformular für diese Zufriedenheitsumfrage wird gleich mitgeliefert.

Auch zum Thema Mahntelefonie gibt es verhaltensdienliche Hinweise, auch hier ist der Ton auf Ausgleich gestimmt: "Mahntelefonie ist immer ein Spagat zwischen dem Verständnis für den säumigen Gesprächspartner und den Interessen des Gläubigers."

Wenn eine fruchtbare Verständigung sich nicht herbeiführen lässt, hat unser kleiner Mittelständler vom Grundsatz her drei Möglichkeiten. Er begibt sich allein auf den Weg durch die europäischen Instanzen, er setzt auf einen Fachanwalt oder er beauftragt einen Inkassodienstleister. Alle drei Optionen werden im Leitfaden beschrieben. Es gilt dabei die Faustregel: Je mehr Forderungen ausstehen, desto eher lohnt es sich, einen Inkassodienstleister einzuschalten. Ein Anwalt ist dann die bessere Alternative, wenn mit einem Prozess zu rechnen ist. Beispielsweise wenn die Gegenseite aufgrund von Mängelrügen die Forderung bestreitet. Allerdings ist es ratsam, vor der Mandatsübertragung zu prüfen, welche Kosten anfallen und ob diese gegebenenfalls auf den säumigen Zahler umgelegt werden können.

Der Leitfaden für das grenz über schreitende Forderungsmanagement wird manchen Mittelständlern eine willkommene Hilfe sein. Er schafft Transparenz in einem Thema, das für viele kleinere Unternehmen immer noch eine terra incognita darstellt. Und es ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man Forderungen mit Nach druck verfolgt, ohne beim Kunden mehr Porzellanbruch zu riskieren, als die Sachlage es tatsächlich erfordert.

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