Kommunikation der Finanzdienstleister

Online-Communities bei Finanzdienstleistern: Skepsis unbegründet

Larissa Walkiw ist 19. Sie ist so etwas wie der typische nordamerikanische Teenager. Und genau deswegen ist sie bei der "Servus Credit Union" die sogenannte "Spokesperson" für junge Zielgruppen zwischen 19 und 25. Ende 2007 etablierte die kanadische Genossenschaftsbank im Web die Plattform "Young & Free Alberta". Inspiriert von Talent Shows wie "American Idol" wird hier seitdem jedes Jahr eine "Spokesperson" per Video Contest von der jugendlichen Zielgruppe gewählt. Sie ist ein Jahr lang bezahlte Angestellte der Bank und ständig da vor Ort, wo sich die Zielgruppe trifft. Sie nimmt deren Interessen, Fragen und Meinungen zu Finanzthemen auf und bringt diese per Videoclips oder Blogs auf die Young & Free-Plattform im Web. Einschränkungen seitens der Bank gibt es keine.

Die ansonsten eher schwierig zu erreichende jugendliche Zielgruppe wird damit so gut getroffen, dass die Anzahl der eröffneten Young & Free-Girokonten im ersten Jahr um 960 Prozent über der Quote des Vorjahres lag.1) Grund genug für weitere Young & Free-Ableger beispielsweise in Texas, Alabama oder South Carolina.

Das Marketing bezeichnet die "Young & Free-Plattform als "Online-Brand-Community". Eine interaktive Gemeinschaft, vom Unternehmen selbst geführt, die sich sehr spitz an eine Zielgruppe richtet.

Vorbild Procter & Gamble

Branchenübergreifend ist Procter & Gamble der Vorreiter. Schon seit 2005 nutzt der Konsumgüterriese die hauseigene Community Vocalpoint, um eine der einflussreichsten Zielgruppen zu erreichen: Mütter. Und mit "Being Girl" richtet sich der Konzern an deren junge Töchter.

Bosch gründete jüngst die Community "1-2-do.com", die Heimwerkern eine virtuelle Heimat bietet und auf der auch von Bosch ausgesuchte Experten auftreten.

Beim Tierfutterhersteller Fressnapf finden Liebhaber von Hunden oder Katzen online zusammen, in der GEO Community Menschen, die gerne reisen.

Skepsis bei den Finanzdienstleistern

Nur eine Branche hält sich zurück: Die Finanzinstitute. Und das, obwohl 93 Prozent der Befragten in einer kürzlich durchgeführten Umfrage bestätigen, dass Social Networking als Beziehungsmaßnahme zu Kunden für ihr Institut in den nächsten fünf Jahren sehr relevant bis geschäftskritisch sei (siehe Abbildung 1). Für ihre Zurückhaltung machen die Institute im wesentlichen fünf Vorbehalte geltend:

Online-Brand-Communities sind bei Filialinstituten nicht notwendig.

Wir warten ab, ob sich das dauerhaft etabliert.

Es gibt keine relevanten Themen im Finanzdienstleistungssektor.

Online-Brand-Communities schaden unserer Reputation.

Der Nutzen lässt sich nicht in Euro und Cent kalkulieren.

Online-Communities sind auch für Finanzinstitute hochrelevant

Diese Vorbehalte lassen sich jedoch durch die Faktenlage entkräften. Warum Online- Brand-Communities für sie nicht interessant seien, erklären manche Filialinstitute gerade mit dem Vergleich zu Konsumgüterherstellern. Während dort kaum direkter Kontakt zu Kunden bestünde, schließlich sprächen ja nur die wenigsten Konsumenten etwa direkt mit ihrem Lebensmittelhersteller, fände in den eigenen Geschäftstellen der Kundendialog durch die Mitarbeiter statt. So sei es nur logisch, dass Konsumgüterhersteller Online-Communities bräuchten, Filialbanken dagegen nicht.

Richtig ist: Es gibt Kundendialog in Filialen. Wobei die Kundenfrequenz immer weiter abnimmt und derzeit auf unter zwei Besuche pro Kunde im Monat gefallen ist, was also etwa 24 Besuche pro Kunde im Jahr sind. Dabei haben jedoch nur etwa sieben Prozent dieser Filialbesuche auch das Beratungsgespräch zum Anlass. Dadurch wird die Anzahl der kundengetriebenen Dialoge in einer Geschäftsstelle auf etwa zwei Anlässe pro Jahr reduziert.2)

Darüber hinaus beträgt der Anteil der Kunden, die Onlinebanking nutzen, 42 Prozent, Prognosen gehen von einer Steigerung auf etwa 70 Prozent in den nächsten zehn Jahren aus.3) Natürlich lässt sich hier einwenden, dass viele Finanzprodukte wie etwa eine Immobilienfinanzierung beratungsintensiv seien und deswegen beispielsweise auch von den jungen Kunden nach wie vor in der Geschäftsstelle und nicht online abgeschlossen würden.

Dieses Argument verstellt jedoch den Blick darauf, wo die Kaufentscheidung fällt. Ein Produktabschluss in einem Vertriebskanal bedeutet nicht automatisch, dass dort auch die Kaufentscheidung gefallen ist. Filialbesucher bereiten nach einer aktuellen Studie von McKinsey ihre Kaufentscheidung für Finanzprodukte zu 50 Prozent im Internet vor. Und rund 15 Prozent nutzen dazu bereits den Dialog in Communities.4) Insoweit kann ein Produktabschluss durchaus in einer Geschäftsstelle liegen, die Entscheidung fällt hingegen zunehmend außerhalb. Fazit: Online-Brand-Communities sind damit auch für Filialinstitute höchst relevant.

Der Vorbehalt zwei: "Wir warten ab, ob sich das dauerhaft etabliert" ist verständlich: Schlechte Erfahrungen im Web, etwa mit Second Life, sorgen für Vorbehalte gegenüber neuen Anwendungen. Es mag daher richtig sein, nicht sofort auf jeden neuen Trend zu reagieren. Die Annahme, Online-Brand-Communities seien nur ein kurzfristiger Marketinggag, ist hingegen falsch.

Das Interesse und die Begeisterung für eine Marke, ein Thema oder eine Lebenseinstellung bringt Menschen schon immer zusammen. Das Internet macht es jetzt noch einfacher, Gleich-gesinnte zu finden. Diese sind neben Familien und Freunden bei Kaufent-scheidungen die vertrauenswürdigsten Quellen überhaupt. Ihr Einfluss liegt signifikant über der direkten Unternehmenskommunikation.5)

Es ist deshalb entscheidend, die Kommunikation der (potenziellen) Kunden untereinander zu fördern und zu beeinflussen. Es gibt kein Zurück mehr in Richtung einseitiger Top-Down-Kommunikation. Bereits heute sind 80 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren in sozialen Netzwerken aktiv.6)

Online-Brand-Communities sind eine strategische Marketingmaßnahme, die auf eine fundamentale Veränderung im Kommunikationsverhalten von Zielgruppen reagiert. Weiteres Abwarten bringt daher keinen Vorteil. Das korreliert auch mit externen Daten wie etwa Google-Trends. Dort sieht man, wie das Interesse an Sozialen Netzwerken das Interesse an anderen Kommunikationsmaßnahmen wie beispielsweise dem Direktmarketing schon seit Mitte des Jahres 2007 übersteigt (Abbildung 2).

Genug Themen vorhanden

Manche Banker wenden ein, dass Kunden über das Aktiv- oder Passivgeschäft hinaus kein weiteres Interesse an einer Verbindung mit ihrem Institut hätten. Es fehlt bei den Verantwortlichen der Glaube, dass es Inhalte gibt, die Kunden interessieren könnten. Und für die Kerngeschäftsinteressen gäbe es ja ohnehin schon externe Plattformen wie beispielsweise bei "Wall-street-Online".

Richtig ist: Ohne ein relevantes, nachhaltig zu besetzendes Thema, braucht man keine Community. Das Ganze muss einen strategischen Zweck verfolgen. Ein Angebot ohne verbindendes Thema erzeugt keine Gemeinschaft.

Falsch ist, dass es keine Themen gibt. Es gibt sie. Beispielsweise betreibt das Kreditkartenunternehmen American Express mit "Open Forum" eine Community, die sich an kleine und mittelständische Kunden richtet. Gefördert wird hier vor allem der geschäftliche Austausch der Kunden untereinander. Spezielle Tools helfen den Unternehmen, neue Leads für ihr Geschäft zu generieren.

Selbst fernab vom Kerngeschäft lassen sich Themengemeinschaften betreiben. So bietet die First Direct, eine Division der HSBC, in Großbritannien exklusiv für Kunden der Bank das "Little Black Book" an. Hier empfehlen sich Mitglieder gegenseitig Restaurants, Events, Hotels oder Shops. Die geniale Begründung im Original: "We know all about recommendation. After all, a third of our customers were recommended by other customers. And we think it´s important to pass on the news about a fantastic little restaurant or a surprising shop or even an unusually good builder. As a First Direct customer you obviously have a good taste so who better to entrust with the creation of the Little Black Book".

Kundenmeinung bedeutet Risiko und Chance

Das vierte Argument "Online-Brand-Communities schaden unserer Reputation" greift ein Risiko auf. Es sei bekannt, dass Kunden dreimal mehr negative Meinungen äußern würden als positive. Aus diesem Grund berge eine Online-Brand-Community, nur einen Klick entfernt von der eigenen Homepage, ein beträchtliches Reputationsrisiko. Richtig ist, dass Kundenmeinung Chance und Risiko bedeutet. Es gibt jedoch keine eindeutigen Belege dafür, dass Kunden eher negative als positive Mundpropaganda machen.

Die London School of Economics fand heraus, dass sich über alle Branchen hinweg mehr als doppelt so viele Verbraucher eher positiv als negativ zu Marken äußern.7) Falsch ist auch die Annahme, dass Kunden quasi erst durch die eigene Online-Brand-Community zum Feedback aufgefordert werden. Eine einfache Recherche, beispielsweise auf Twitter, zeigt meistens sehr schnell auf, dass Kunden nahezu jedes Institutes bereits über dasselbe sprechen.

Darüber hinaus muss keine Bank unberechtigte Kundenkommentare auf der eigenen Plattform einfach hinnehmen. Unabhängig von den juristischen Möglichkeiten, mit rechtlich fragwürdigem Content umzugehen, hat sich in der Praxis eine Reihe von Best Practices herausgebildet, um Nutzer zu vermeiden, die nur provozieren. Wichtig ist auch die direkte Moderation von Beiträgen durch die Bank. Hier ist ein sorgfältiges Abwägen auf Basis einer definierten Policy notwendig. Zuviel Kontrolle lähmt schnell das Engagement der Nutzer.

Häufig löst die Gruppendynamik in einer Gemeinschaft das Problem auch von selbst, das heißt Mitglieder kommentieren von ihnen als unberechtigt empfundene Kritik entsprechend. So kritisierte ein Bankkunde jüngst in einem Forum einer Direktbank, er habe im Namen seiner Mutter, ausgestattet mit deren PIN und TAN, jedoch ohne Vollmacht, versucht, für sie telefonisch Services durchzuführen. Daraufhin habe die Bank den Zugriff gesperrt. Das fände er ungerecht. Die anderen Mitglieder der Community äußerten dafür wenig Verständnis. Dieser Schutz vor dem unberechtigten Zugriff sei schließlich genau das, was sie von ihrem Bankpartner erwarten.

Vorteil bei der Neukundenakquise

Vorbehalt fünf lautet: Der Nutzen lässt sich nicht in Euro und Cent kalkulieren. Während die Soll-Seite mit dem Reputationsrisiko behaftet sei, könne auf der Haben- Seite niemand vorhersagen, ob sich eine Community rechnet. Das ist nicht richtig. Natürlich lässt sich der Nutzen auch mit harten Fakten kalkulieren, wie das eingangs zitierte Beispiel der Plattform Young & Free Alberta mit einer Verbesserung der Abschlussquote um 960 Prozent bei den Girokonten zeigt.

Online-Brand-Communities können zudem gerade in Deutschland noch einen weiteren Nutzen in der Neukundenakquise entfalten. So ist seit einigen Monaten die UWG-Novelle in Kraft mit deutlichen Auswirkungen auf fast alle Marketing- und Vertriebsprozesse. Kaum ein Geldinstitut hat die geforderte Einwilligung der Kunden zur telefonischen Kontaktaufnahme bestandsübergreifend eingeholt. In der Folge sind selbst einfache Betreuungsanrufe nur noch sehr eingeschränkt möglich. Besonders dramatisch ist es jedoch bei der Neukundengewinnung, wo bisherige Vorgehensweisen wie zum Beispiel die Einladung zu einem Event und der anschließende telefonische Nachfass-Anruf zur persönlichen Motivationsansprache nicht mehr zulässig sind. Online-Brand-Communities mit ihrer Pull-Mechanik bieten hier einen ganz anderen Zugang zu potenziellen Kunden.

Der Nutzen entsteht aber nicht nur im Vertrieb, sondern gleichmäßig über die Organisation hinweg ebenso im Marketing, Produktmanagement oder im Service. So berichtete ein führender Netzwerkanbieter davon, dass die Zugriffe auf seine Service Community zu 43 Prozent die Eröffnung von Support Cases im Contact-Center ersetzen. Massive Kostenersparnisse sind das Resultat. Das Marketing profitiert von den neuen Kontaktpunkten der Marke ebenso wie von den bezahlten Werbemaßnahmen der Kooperationspartner. Und das Produktmanagement hat eine exklusive Plattform für Produkttests und für die Generierung von Zielgruppen-Insights.

Drei Projektphasen

Wer jetzt beginnt, kann noch auf dem Vertriebs-Kick-off im Januar 2011 seine fertiggestellte Online-Brand-Community vorstellen. Dabei sind drei Projektphasen zu beachten:

1. Die ersten drei Monate im Projekt sind die Phase der Strategie und des Research. Hier können spezialisierte Unternehmensberater helfen. Es müssen alle Stakeholder eines Institutes eingebunden werden. On-line-Brand-Communities sind die Stimme der Kunden und keine isolierte Angelegenheit etwa des Marketings. Weiterhin müssen der Zweck und auch die betriebswirtschaftliche Zielsetzung mit Fakten unterlegt sein. Daraus werden Erfolgskriterien und die Controllingstrategie abgeleitet. Es gilt zudem, Themen zu finden, die sich spitz an Zielgruppen richten und die ein langfristiges Engagement auslösen. Dadurch müssen insbesondere die späteren Nutzer angezogen werden, die gerne Beiträge einstellen oder kommentieren. Analysen des Marktes zeigen, ob die gefundenen Themen schon besetzt sind und ob es beispielsweise schon von Kunden gegründete Online-Brand-Communities gibt, die gegebenenfalls zu integrieren wären. Rechtliche Fallstricke werden aufgezeigt und bewertet. Eine Funktions- und Inhaltsmatrix zeigt, ob das Institut Ressourcen für die Content-Produktion und das Community Management in Eigenregie bereitstellen kann oder ob dafür Kooperationen mit Partnern notwendig sind. Eine Kosten/Nutzenrechnung verdeutlicht abschließend, ob das Projekt den strategischen Meilenstein passieren kann.

2. Es folgt die zweite Phase mit der Konzeption und der Umsetzung. Hier bietet sich die Zusammenarbeit mit einer erfahrenen Online-Agentur an. Zentraler Nukleus dieser Phase ist das sogenannte Engagement-Modell. Wie wird die Com-munity-Aktivität gesteuert und langfristig aufrecht erhalten? Welche Funktionalitäten und Inhalte sind dafür notwendig? Wie ist die Rollenverteilung im Community-Management? Wie wird die Gemeinschaft beworben und von den Zielgruppen gefunden? In dieser Phase entstehen die organisatorischen Vorgaben für die Content-Produktion, das Community Management und die IT-technische Umsetzung. Letztere kann dann mit Standardsoftwarepaketen erfolgen oder in der Individualprogrammierung. Hier gelten die auch sonst üblichen Kriterien bei der Auswahl von Softwarewerkzeugen. Die Phase der Konzeption und Umsetzung, die zwischen drei und sechs Monaten dauern kann, endet mit dem Abnahmetest.

3. Abschließend folgt die Phase der Produktion und des laufenden Betriebs. Hier kann beispielsweise eine PR-Agentur helfen. Die Online-Brand-Community lebt jetzt und führt dazu, mehr Kunden, qualifizierter und mit geringeren Kosten zu erreichen. Nun endlich auch bei Finanzinstituten!

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