Telekommunikationsgesetz

Call-Center: Laufende Verträge auf den Prüfstand

Ob Call-Center, Kundenservice oder Contact-Center - hinter allen drei Begriffen steht eine Organisationsform, die eine quasi postindustrielle Produktion beschreibt. Kundenzufriedenheit wird in Takt und Arbeitsteilung wie am Fließband hergestellt. Die große Herausforderung dabei: Das Produkt Gespräch ist mit dem Auflegen des Hörers unwiederbringlich hergestellt und verbraucht - Produktion und Verbrauch fallen zusammen. Ein Nachbessern ist nicht mehr möglich. Deshalb ist das Call-Center heute nicht mehr vergleichbar mit der Telefonzentrale von einst. Die Anforderungen an Organisation, Prozesse und Mitarbeiter sind hoch, um Qualität nachhaltig zu sichern und Kundendialog als Wertschöpfungsquelle effizient zu nutzen.

Heute arbeiten rund 440000 Menschen in 5700 Call-Centern in Deutschland. Die Branche, wenn man denn von einer Branche überhaupt sprechen will, hat sich rasant entwickelt, jährliche Wachstumsraten (in Köpfen gemessen) von sieben bis zehn Prozent waren in den letzten fünf Jahren keine Seltenheit. Täglich führen deutsche Call-Center 20 bis 23 Millionen Kundentelefonate und betreuen zusätzlich Millionen Kontakte per Fax, Brief oder andere Medien. Rund 30 Prozent der Anrufe sind outbound (Call-Center ruft Kunde an), die weit überwiegende Mehrzahl von 70 Prozent sind Inbound-Anrufe (Kunde ruft Call-Center an).

Vertrieb von Finanzdienstleistungen schlagartig reduziert

Im zweiten Halbjahr 2008 ist dieses Wachstum gebremst worden. Nicht nur die weiter unten noch zu beleuchtenden Ankündigungen des Gesetzgebers haben zu einer Investitionszurückhaltung geführt, auch die Bankenkrise ist an der Branche nicht spurlos vorbeigegangen. So ist der Vertrieb von Finanzdienstleistungen oder Versicherungsprodukten schlagartig nahezu zum Erliegen gekommen, der Bedarf nach telefonischem Vertrieb ist derzeit noch nicht wieder so hoch, wie noch vor einigen Monaten. Und: Banken konsolidieren und sparen - diesmal beim Kundenkontakt.

Es ist schwierig, bei Call-Centern von einer echten Branche zu sprechen. Rund 75 Prozent der Call-Center sind Inhouse-Call-Center, also Abteilungen und Organisationseinheiten von Unternehmen, die ein anderes Kerngeschäft betreiben. Von diesen Inhouse-Call-Centern tritt zwar ein Drittel auch als Dienstleister am Markt auf, die Organisationseinheiten organisieren aber zunächst den Kundenkontakt der eigenen Mutter.

Neue Regulierung des Telefonmarketings

Also ist gerade einmal ein Viertel der Call-Center in Deutschland als echter Dienstleister auf dem Markt unterwegs. Diese Dienstleister konzipieren und realisieren Kampagnen für Kunden, fangen Überläufe - also zeitweise zu hohes Anrufvolumen bei ihren Kunden - auf und treten im Rahmen des immer stärker diskutierten Busi-ness-Process-Outsourcing als Ausgliederungspartner und Generalunternehmer für den vollständigen Kundendialog auf. Und dies ist gerade aufgrund der zunehmenden Komplexität des Geschäfts ein Weg, der auch in den nächsten Jahren Wachstum und neue Geschäftsmodelle verspricht.

Doch bevor man sich der Zukunft der Dienstleistung zuwendet, hilft ein Blick auf die aktuelle Situation der Gesetzgebung: Zum Jahresbeginn 2009 sollen etliche Gesetzesänderungen in Kraft treten, die die Arbeit in Call-Centern und im Dialogmarketing erheblich verändern werden. Das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) wird erneut novelliert. Der Grund ist die Anpassung an die EU-Richtlinie RL 2005/29/EG. Ein wichtiger Punkt ist die Ersetzung des Begriffs "Wettbewerbshandlung" durch "geschäftliche Handlung". Diese kleine begriffliche Veränderung weitet den jetzigen Rechtsrahmen erheblich aus. Eine weitere nationale Gesetzgebungsinitiative sieht vor, dass Paragraf 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG-E dahingehend geändert werden soll, dass Telefonwerbung verboten ist, wenn der Verbraucher dazu nicht seine ausdrückliche Einwilligung erteilt hat.

Verstöße werden mit hohen Geldbußen geahndet

Zusätzlich zu den UWG-Änderungen stehen weitere politische Forderungen im Raum: Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag sowie die Verbraucherschutzministerkonferenz wollen die schriftliche Bestätigung von telefonisch geschlossenen Verträgen. Das heißt in der Praxis, dass am Telefon keine Verträge mehr wirksam geschlossen werden können, ohne dass der Verbraucher diese mit Unterschrift schriftlich bestätigt. Die Beratung des Regierungsentwurfs aus dem Bundesrat vom 19. September 2008 brachte die komplizierte Forderung hervor, dass unlautere Verträge einer schriftlichen Bestätigung bedürfen. Diese Regelung fügt eine zusätzliche Form zum bestehenden Widerrufsrecht hinzu, die nicht der Logik desselben folgt.

Der Gesetzesentwurf aus dem Bundesjustizministerium umfasst eine Reihe von Veränderungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Jahreswechsel greifen werden: So werden Verstöße gegen das Verbot von unlauterer Telefonwerbung künftig mit Geldbuße bis 50000 Euro geahndet, die Anzeige der Rufnummer bei werblichen Anrufen wird obligatorisch - bei Verstoß droht eine Geldbuße bis 10000 Euro. Das Widerrufsrecht wird auf die Bereiche Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierte sowie Wett- und Lotteriedienstleistungen ausgeweitet.

Rückkanal für den Verbraucher schaffen

Dabei gilt, dass die Widerrufsfrist abhängig von den Umständen des Einzelfalles zwei Wochen oder einen Monat beträgt und nicht beginnt, bevor der Verbraucher eine Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform (etwa als E-Mail oder per Telefax) erhalten hat. Weitere Regelungen greifen beim Anbieterwechsel in der Telekommunikationsbranche und bei Energieversorgern. Zusätzlich gilt: Anrufe sind nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers zulässig.

Für die Betreiber von Call-Centern und ihre Auftraggeber heißt es insbesondere mit dem Blick auf die verpflichtende Übertragung der Rufnummer des Anrufers bei Werbeanrufen, einige wichtige Hausaufgaben rechtzeitig zu erledigen. Jedes Call-Center sollte sich bereits jetzt darauf vorbereiten, dass bei einem Anruf zu Werbezwecken künftig die Rufnummer übermittelt werden muss. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Die Rufnummer des Call-Centers oder die Rufnummer des Auftraggebers können angezeigt werden. Während für den Gesetzgeber nur die Identifikation des Anrufers zählt, kann künftig für den Verbraucher sinnvollerweise ein Rückkanal geschaffen werden. Dies ist zu organisieren, sodass dort nicht nur eine Bandansage oder ein Anrufbeantworter den Rückruf eines Verbrauchers entgegennehmen.

Call-Center müssen jetzt klären, wie sich die Rufnummernübermittelung und das Rückrufmanagement technisch umsetzen lassen, um heterogene Systemlandschaften gegebenenfalls so rechtzeitig aufeinander abzustimmen, dass das Gesetz auch zügig eingehalten werden kann. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Rufnummer auch wirklich die richtige ist. Was passiert zum Beispiel, wenn Fehler beim Netzbetreiber auftreten? Die Frage der Haftung ist zu klären. Ein weiterer Punkt ist, wie lange die Rufnummer auch nach der Kampagne aufrecht erhalten wird, um Anrufe des Verbrauchers entgegennehmen zu können.

Letztlich gehören die bestehenden Verträge zwischen Auftraggeber und Call-Center und gegebenenfalls auch mit dem Netzbetreiber jetzt auf den Prüfstand: Es muss geregelt werden, welche Rufnummer angezeigt wird und wer schließlich wofür haftet. Auch die Fragen des Werts der Rufnummer und der jeweiligen Rechte an der Rufnummer müssen geklärt werden.

Für die Einrichtung der Rufnummernübermittlung plant der Ge setzgeber derzeit eine Übergangsfrist von sechs Monaten (BR 553/1/08 S.15). Möglich ist allerdings auch, dass bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2009 die Neuregelung der Rufnummern-Anzeige greift und dann auch sofort umzusetzen ist. Bei Verstößen hat das Unternehmen dann mit dem genannten Bußgeld zu rechnen.

Finanzdienstleister haben Nachholbedarf bei E-Mail-Kommunikation

Eine empirisch fundierte Studie über die Veränderungen und Zukunftschancen der Branche hat 2008 das Hamburger Trendbüro im Auftrag des Call-Center-Dienstleisters Transcom World-Wide vorgelegt. Die neue Rolle der Call-Center ist nach dieser "Dialogstudie 2020" die des Innovationsmanagers, es wird zum Customer-Interac-tion-Center, das aktiv Beziehungen zu Kunden pflegt und Kundendialog managt. Dabei ist die Medienkonvergenz so weit fortgeschritten, dass Unified Communication oder Multichannel-Kommunikation Standard sind. Gerade hier hat der Bankenbereich, so ein aktueller Test des Branchenmagazins Teletalk, noch Nachholbedarf: Elektronische Kommunikation via E-Mail wird heute nur verzögert beantwortet, vielfach lässt die Antwort sogar ewig auf sich warten.

Das Call-Center wird auch - dieser Prozess ist heute vielfach schon angestoßen, aber nur selten wirklich umgesetzt - zum Profit-Center der Unternehmung. Es behauptet selbstbewusst seine Rolle im Unternehmen, da durch den Wechsel vom Produkt- zum Kundenfokus der Kundenservice ein bedeutender Teil der Wertschöpfungskette wird.

Das Call-Center wird darüber hinaus zum Wissensspeicher und -organisator für das ganze Unternehmen, es organisiert und vermittelt Wissen zwischen Kunden und dem Unternehmen. Call-Center werden künftig Bedarfe antizipieren können und werden zum Trendscout für Entwicklung und Produktion. Diese Interaktion mit den Kunden führt dann zwangsläufig zu einem völlig neuen Verständnis der Arbeit im Call-Center. Und der Agent - so die Trendbüro-Studie - wird zum Experience Manager, der eine Schlüsselrolle einnimmt, mit hoher Entscheidungsbefugnis rasch und kundenorientiert entscheiden kann und mit emotionaler Intelligenz, vernetztem Denken und Priorisierungs- und Organisationsfähigkeiten überzeugt.

Diesen hohen Anforderungen an die Interaktion mit Kunden steht ein automatisierter Sprachdialog gegenüber, der einfache und standardisierbare Dienste mit möglichst intuitiver Bedienbarkeit und echtem Nutzenerlebnis anbietet. Der Kundendialog wird sich in einfach, standardisiert und automatisiert einerseits und exzellenzorientiert und persönlich andererseits entwickeln. Dabei werden die medialen Brüche nicht zuletzt durch das Zusammenwachsen der Kanäle in dem Basis-Medium Internet und die Tatsache, dass Verbraucher immer online sein werden, überwunden.

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