Vom Wert der Beratung

Finanzberatung 2.0 - neuer Trend / Social Collaboration

Das Internet hat das Einkaufsverhalten für Konsumgüter tiefgreifend verändert. Auf das Kaufverhalten für Finanzprodukte hat das Internet kaum Einfluss gehabt - selbst unter Einbeziehung der Direktbanken. Preistransparenz, Preisvergleiche und Verbraucherbewertungen für ein Finanzprodukt sind kaum verfügbar - jedenfalls, wenn über das identische Produkt gesprochen wird. Der Preis für die Intransparenz ist hoch: Im Verbrauchervertrauen findet sich die Branche auf den letzten Plätzen wieder, keine Branche sieht sich höherem Regulierungsaufwand ausgesetzt, und keine Branche hatte höhere Unternehmenswertrückgänge zu verkraften.

Das schafft Raum für internetbasierte Businessmodelle, die erfolgreiche Strategien von Amazon, Google und Facebook für Finanzprodukte adaptieren und den Wert der Beratung verändern. Der Wert von Beratung erschließt sich bei einem Blick über den Zaun - zumindest der Preis der Beratung. 100 Euro je Stunde für einen Steuerberater in privaten Lohnsteuerfragen oder 400 Euro je Stunde für den Rechtsanwalt der internationalen Kanzlei in komplexen Situationen sind akzeptierte Preise. Bankberatung hingegen kostet: "Nichts!" - so die Meinung privater Kunden.

Schon kurios - ein Steuerberater, der vom Finanzamt eine Provision in Höhe von vier Prozent der Steuerlast seines Mandanten vergütet bekommen würde, statt seinem Mandanten Rechnungen zu schreiben, ist für uns alle unvorstellbar. Ebenso wenig ist vorstellbar, dass das Finanzamt Beratungen durchführt, wie man Steuern spart und dafür ein Honorar oder eine Provision in Rechnung stellt. Der homo oeconomicus unter den vermögenden Bankkunden müsste sich also für Honorarberatung entscheiden - und um jede Beeinflussung auszuschließen, dürfte diese nicht einmal vom Produzenten der beratenen Leistung erbracht werden. Statt 9 000 Euro Provision für den Vertrieb des Schifffonds bei einer Zeichnung von 100 000 Euro würde ein deutlich geringeres Honorar fällig. Selbst 250 Euro je Stunde, vielleicht 1 500 Euro insgesamt, würden die Kosten sechsteln.

Nationales Experiment in Großbritannien

Ein nationales Experiment zur Honorarberatung findet zurzeit in Großbritannien statt. Das "Retail Distribution Review" (RDR) findet seit 1. Januar 2013 Anwendung. Die FSA begründet das RDR mit den hohen Schäden aus Fehlberatungen.

Das Bashing von provisionsgestützter Beratung hat aber auch seine Schattenseiten. Auch den Briten ist klar: Kein Kunde zahlt ein Honorar von 500 Euro oder gar 1000 Euro für einen 100-Euro-Sparplan. Die Entscheidung des Kunden im Retailbanking wird zugunsten der provisionsorientierten Beratung ausfallen - die erzielte Provision für die Bank ist gering. Erträge und Kosten müssen korrelieren - mit entsprechenden Folgen für die Beratungsqualität. Am Ende zählt für 87 Prozent aller Kunden dann noch der Preis.

Branchenübergreifend betrachtet, sind die tradierten Erlöse aus dem Vertrieb mit Finanzprodukten beneidenswert hoch gewesen. In industrialisierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gilt seit jeher die Regel, dass ein Wirtschaftsprüfer das Dreifache seines Einkommens erlösen muss: ein Drittel für sein Gehalt, ein Drittel für die Kosten, ein Drittel für die Shareholder. Im Banking lag das Verhältnis zwischen Deckungsbeitrag und Einkommen des Beraters zeitweise bei zehn zu eins - das wird nicht mehr erreichbar sein.

Produktentwicklung lebte von Intransparenz

Der Bankberater als Cross-Selling-Beauftragter kämpft derweil mit Vertrauensproblemen: Gaben vor einem Jahr noch 16 Prozent der deutschen Anleger an, dass sie ihrem Finanzberater voll vertrauen, sind es mittlerweile nur noch 13 Prozent, so Fidelity 2011. "S-Finanzkonzept", "private Finanzplanung", "Die Bank an Ihrer Seite"-Konzepte werden zunächst gerne vom Kunden angenommen, weil sie neugierig machen, informativ sind - und unverbindlich. Sie erhöhen den Beratungsaufwand mit ungewissem Ausgang.

Ein Bumerang war die Tatsache, dass Produktentwicklung bis 2008 nicht selten von Vertiefung der Intransparenz lebte - ob man nun Retail-Produkte wie strukturierte Zertifikate oder institutionelle Produkte wie CMBS betrachtet. Es ist zukünftig nicht mehr möglich, schon in der Produktentwicklung aus Intransparenz Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Wer erwischt wird, dem droht das Gegenteil eines Candystorms. Wer dann keine Fanseite bei Facebook hat, dem wird eine gemacht.

Schreckgespenst Ro-Po-Effekt

Technische Unterstützung im Banking ist selten kunden- oder beraterorientiert. Der Wunsch, den Gesamtertrag eines Depots für das abgelaufene Jahr zu erfahren, vor und nach Kosten, den grafischen Kursverlauf gegenüber einer Benchmark oder die Asset Allocation unter Einbeziehung von Mischfonds darzustellen, bringt jeden Bankberater ins Schwitzen. Online-Banking und Kontoauszüge sind bisher so spannend wie die Erstellung einer privaten Einkommensteuererklärung.

Die Kunden nutzen das Internet, um sich über Produkteigenschaften und Preise alternativer Produkte zu informieren. Hier zeigt sich der Google-Effekt: Was im Internet nicht gefunden wird, wird nicht in die Kaufentscheidung einbezogen. Amazon, Google, Facebook und Co. wissen genau, wie man den Verkauf im Internet ankurbelt: Laut einer Nielsen-Studie vertrauen 88 Prozent der Konsumenten den Empfehlungen von Bekannten, 64 Prozent vertrauen den Empfehlungen von Konsumentenbewertungen im Internet. Sie fördern massiv die soziale Zusammenarbeit ihrer Kunden, fördern Aussagen zur Qualität der erworbenen Produkte - sie stellen diese ja auch nicht selber her. Sie erklären, welche Cross-Selling-Produkte andere Kunden interessierten, die Produkt A gekauft haben.

Der Lohn dafür ist - und wäre ein Schreckensszenario für die Filialbank: Ein Ro-Po-Effekt (Research online - Purchase offline) findet im Konsumgüterbereich kaum statt, gleich ob es sich um Elektronik, Mode oder speziellere Lebensmittel geht. Die eine Hälfte der Befragten kauft online ein, die andere Hälfte im stationären Einzelhandel. Online-Handel mit Konsumgütern wird nach Annahme von PwC um weitere 25 Prozent bis 2014 wachsen. Die kaufkräftigsten Kunden der Banken nutzen das Internet mehr und mehr. Die am stärks ten wachsende Altersgruppe bei Facebook sind die 50- bis 60-Jährigen: mittlerweile 4,4 Millionen Mitglieder mit einem Wachstum von 48 Prozent im Jahr 2012.

Social Collaboration als Beratungsersatz

Social Collaboration funktioniert als Beratungsersatz. Es erhöht den Online-Absatz. Richtig gemacht ist es vor allem eine Frage der intelligenten Vernetzung aller vorhandenen Informationen und der Einbeziehung der Kunden. Banken und Versicherungen besitzen viele Informationen von und über ihre Kunden. Immer mehr Kunden sind bereit, Informationen zu ihrem Nutzen zu teilen. Sie wollen die Emanzipation, zum Selbstentscheider werden. Das Ignorieren von Social Collaboration bis zum Beweis des Funktionierens ist eine gefährliche Haltung. Lukrative Bezahlsysteme im Internet haben die Banken bereits verpasst, man kann im Internet entstehende Wettbewerber nicht einmal verhindern, wie das Beispiel von Sofortüberweisung.de zeigt.

Neue Anbieter ersetzen mit Social Collaboration sogar die Domäne der Risikotransformationsfunktion einer Bank. Eine Milliarde US-Dollar haben sich Lending-Club-Mitglieder seit der Gründung 2007 untereinander geliehen - aktuell sind es 2,7 Millionen US-Dollar täglich. Crowdfunding-Plattformen schießen wie Pilze aus dem Boden. Bei Wikifolio legen private Kunden aus ihren Musterdepots Zertifikate auf und profitieren davon wirtschaftlich - bisher ein Monopol der Finanzindustrie.

Handlungsoptionen für Banken

Produktanbieter wie Wikifolio sind das eine, sie müssen sich langfristig am Markt über die Qualität ihrer Produkte beweisen. Aggregatoren hingegen, die Kunden, deren Handlungen, Verhalten und Meinungen intelligent vernetzen, Plattformen also, sind eine erheblich größere Herausforderung für die Finanzindustrie. Mint in den USA aggregiert für sieben Millionen Kunden deren "finanzielles Leben", Jemstep aggregiert das Wertpapierleben über diverse Banken.

Moneymeets in Deutschland aggregiert Wertpapierdepots und Konten. Versicherungs- und Beteiligungsprodukte sind in Vorbereitung. Eine konsolidierte Vermögens- und Wertentwicklungsübersicht über alle angeschlossenen Banken kommt auf Knopfdruck - die Daten wären auch für jede Bank verfügbar. Empfehlungen von Kunden für Kunden, Austausch mit Profis und Produzenten, absolute Transparenz über alle Provisionen und über mehrere Banken - hier findet Social Collaboration findet statt. Social Matching zwischen dem Ratsuchenden und dem Ratgeber würde auch einer Bank helfen - wenn sie den Kunden denn nur einmal lassen würde.

Handlungsoptionen für Banken

Eines ist klar: Wenn die Beratung und Serviceangebote im Netz kostenlos verfügbar sind, müssen klassische Finanzdienstleister über kurz oder lang reagieren, wenn sie Marktanteile halten möchten. Kooperationen mit Banking-2.0-Anbietern sind eine gute Möglichkeit, die eigene Produktion stärker auszulasten.

Neben Kooperationen ist "Make or Buy" die entscheidende Frage. "Make" ist noch machbar, aber aufwendig: In das Banking-2.0-Umfeld fließt mittlerweile soviel Private Equity, wie Banken in die IT-Entwicklung investieren. Gesehen hat der Markt auch schon "Buy" - bei Interhyp, mittlerweile ein "Buy" der ING-Gruppe.

Interhyp ist ein klassisches Aggregatorenmodell, das den Regionalbanken in den letzten zehn Jahren zweistellige Marktanteile in der Hypothekenfinanzierung abgenommen hat. Hier nimmt die Bank die Rolle eines austauschbaren Produzenten ein - der direkte, beratende Kundenkontakt und damit das Cross-Selling-Potenzial ist kaum mehr herzustellen. Das Internet verändert alles Hierzu stellen wir fünf Thesen zur Diskussion:

These 1: Der neue Wert der Beratung orientiert sich an den Opportunitäten - empfindet der Kunde Rat im Netz als ausreichend, zahlt er nicht für Beratung.

These 2: Der Trend zu besten Preisen und der besten am Markt verfügbaren Lösung, recherchiert und gekauft im Netz, ist nicht aufzuhalten. Reine B2B-Produzenten unter den Finanzdienstleistern werden diese Entwicklung treiben.

These 3: Es wird mehr und mehr Banken und Versicherungen geben, die sich entscheiden: Sie fokussieren sich entweder auf die Beratung oder auf die Produktion - und setzen auf B2B-Modelle oder onlinebasierten Vertrieb.

These 4: Im Übergang zwischen Trennung von Produktion und Vertrieb werden Banken und Versicherungen user-generatedcontent für ihre Online-Absatzkanäle nutzen und mehr und mehr Produkte über Plattformen online anbieten.

These 5: Aggregatoren ermöglichen Banken, den Selbstentscheidern unter den Kunden weitere Produkte neben der Hypothekenfinanzierung anzubieten. Aggregatoren werden wertvolle Services bereitstellen, die eine einzelne Bank nicht anbieten kann oder will.

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