Firmenkundengeschäft

Genossenschaftsbanken: Ein Drittel des Kundenbedarfs bleibt unerkannt

Im Geschäft mit der mittelständischen Wirtschaft verfügen die meisten Volksbanken und Raiffeisenbanken über zwei wesentliche Trümpfe: Kontinuität und Zuverlässigkeit. Während insbesondere die Berater in Großbanken stark fluktuieren, stellen die genossenschaftlichen Institute ihren Kunden langjährig vertraute Ansprechpartner zur Verfügung und können bedarfsgerechter unterstützen.

Allerdings spielen die Volksbanken und Raiffeisenbanken diesen Vorteil noch zu selten wirkungsvoll aus. Mehr noch: Viele Berater kennen die Bedürfnisstruktur ihrer mittelständischen Kunden bislang nur unzureichend und konzentrieren sich bisher zu sehr auf einen sehr eingeschränkten Ausschnitt der Produktpalette. Das breite Allfinanzangebot des Finanzverbundes wird aber oftmals nur sehr unvollständig ausgeschöpft. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von fast 200 mittelständischen Kunden im Rahmen einer Studie der Universität Münster (Lehrstuhl Professor Wolfgang Berens), der BMS Consulting Düsseldorf und der WGZ Bank. Gute Gründe also, mehr über den Kundenbedarf in Erfahrung zu bringen und gezielt erweiterte Angebote zu unterbreiten.

Geringe Potenzialausschöpfung bei Leasing, betrieblicher Altersvorsorge ...

Die Anzahl der von den mittelständischen Kunden nachgefragten Finanzprodukte variiert erheblich. Die Spanne reicht von einem halben Dutzend und übersteigt bei besonders anspruchsvollen Unternehmern mitunter sogar eine Palette von über 30 verschiedenen Produkten.

Auffällig ist hierbei, dass die meisten genossenschaftlichen Berater den Kundenbedarf deutlich unterschätzen. Während die untersuchten mittelständischen Unternehmen durchschnittlich fast 19 Finanzprodukte in Anspruch nehmen, erkennen die Berater im Durchschnitt lediglich den Bedarf für zwölf Produkte - ein Drittel des Bedarfs wird also gar nicht erkannt. So können die genossenschaftlichen Berater die sich bietenden Cross-Selling-Möglichkeiten auch nur unvollständig ausschöpfen.

Die unzureichende Abdeckung des Bedarfs durch den Finanzverbund ist nahezu über die gesamte Palette der Finanzprodukte festzustellen. Besonders augenfällig ist die geringe Potenzialausschöpfung bei Leasing, der betrieblichen Altersvorsorge und bei Versicherungsprodukten. Dagegen nehmen fast 79 Prozent der befragten Kunden der Kreditgenossenschaften beispielsweise Investitionskredite in Anspruch und decken zu mehr als drei Vierteln dieses Bedarfs auch durch die genossenschaftlichen Instituten ab.

... und bei Versicherungsprodukten

Jedoch gelingt dies den genossenschaftlichen Beratern in den genannten Segmenten nicht in vergleichbarem Maße. Rund zwei Drittel der von den genossenschaftlichen Instituten betreuten Mittelständler nehmen Leasingdienstleistungen in Anspruch. Dieser Bedarf wird aber zu weniger als einem Viertel auch mit Produkten aus dem Finanzverbund befriedigt. Noch auffälliger ist der geringe Abdeckungsgrad auf dem Feld der betrieblichen Altersvorsorge. Rund 85 Prozent der Kunden der genossenschaftlichen Institute verfügen über eine betriebliche Altersvorsorge, es greifen aber weniger als zehn Prozent der Unternehmen hierbei auf Offerten des Finanzverbundes zurück.

Besonders die Potenziale bei Versicherungsdienstleistungen werden kaum ausgeschöpft. So haben die mittelständischen Kunden der Kreditgenossenschaften ihren Fuhrpark zu lediglich rund fünf Prozent auch über den Finanzverbund versichert. Eine vergleichbare Lücke besteht auch bei Betriebshaftpflichtversicherungen.

Auf dem besonders lukrativen Feld der Lebensversicherung ist gleichfalls eine beträchtliche Diskrepanz hinsichtlich der Abdeckung durch Angebote des Finanzverbundes feststellbar. Während rund drei Viertel der Mittelständler eine Lebensversicherung besitzen, wird der Bedarf lediglich zu rund fünf Prozent durch eine Produktlösung des Finanzverbundes befriedigt. Bei den sonstigen Versicherungslösungen von B wie Betriebsrechtsschutzversicherung bis W wie Warenkreditversicherung bedienten die Firmenkundenbetreuer zumeist weniger als fünf Prozent des Bedarfs ihrer Kunden aus dem Produktportfolio des Finanzverbunds.

Fehlende Kompetenzvermutung und zu wenig aktive Ansprache

In der Untersuchung zeigt sich, dass Unternehmen mit steigendem Umsatz tendenziell auch einen breiteren Produktbedarf aufweisen. Jedoch partizipieren die VR-Banken bisher nicht an diesem steigenden Bedarf größerer Unternehmen.

Je größer der Umsatz des Unternehmen umso geringer ist die Produktabdeckung. Bei Unternehmen mit einem Umsatz bis eine Million Euro werden immerhin 40 Prozent des Bedarfs aus dem Finanzverbund befriedigt. Dagegen decken Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 25 und 50 Millionen Euro lediglich 30 Prozent ihres Bedarfs an Finanzprodukten aus der Angebotspalette des Verbunds.

Insbesondere auf dem Gebiet der Versicherungslösungen wird der Finanzverbund von vielen Kunden kaum als Allfinanzanbieter wahrgenommen. Aber auch die Bedarfsabdeckung durch die Firmenkundenbetreuer zeigt Optimierungspotenzial. Daher gilt es, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken die unausgeschöpften Potenziale identifizieren und die bestehenden Lücken systematisch mit eigenen Angeboten schließen. Hierzu empfiehlt sich folgende Schrittfolge:

1. Positionierung als Allfinanzanbieter schärfen: Essenziell für den Erfolg im gesamten Leistungsprogramm der VR-Banken ist, dass diese sich konsequent als Allfinanzanbieter in der Wahrnehmung des Kunden positionieren. Bei vielen Bankprodukten wenden Firmenkunden nur wenig Zeit für den Vergleich verschiedener Angebote auf. Es gilt also, in den routinemäßig stattfindenden Gesprächen mit der Geschäftsführung der Mittelständler, die Genossenschaftsbank als Problemlöser für alle Finanzfragen zu positionieren.

Besondere Aufgaben kommen hier den Beratern und Betreuern zu, die das gesamte Leistungsangebot präsent haben und es den Kunden bedarfsgerecht vorstellen müssen. Aber auch zielgerichtete Werbung, speziell im Firmenkundengeschäft, kann in lokalen oder regionalen Medien die Positionierung unterstützen.

2. Segmentfokussierung und Produktnutzungsprofile für Kunden festlegen: Um die knappen Ressourcen im Vertrieb nach besten Möglichkeiten einzusetzen, sollten sich die Banken auf konkrete Kundengruppen und hierfür typische Produktangebote konzentrieren. Spezielle Produkt-Segment-Kombinationen sind die Basis für alle folgenden operativen Aktivitäten.

So sollten für die weniger potenzialstarken Kunden klar definierte Leistungsbündel festgelegt werden. Beispielsweise könnte für Existenzgründer ein Gründerpaket bereitgestellt werden, das neben Zahlungsverkehrsdienstleistungen und einer Kreditlinie auch eine Betriebshaftpflichtversicherung, eine Firmenkreditkarte und eine Kfz-Versicherung enthält.

Dagegen dürften für etablierte Unternehmenskunden mit einem Umsatz jenseits der fünf Millionen Euro mehrere Gespräche pro Betreuungszyklus sinnvoll sein, um die notwendigen Informationen für das anzubietende Leistungsprogramm zu erheben und daraus individuelle Angebote abzuleiten und zu präsentieren. In einem solchen aktiven Vertriebsprozess ist eine ganzheitliche Beratung anzustreben.

3. Bedarfsbegründende Informationen systematisch erfassen und auswerten:

Um einen aktiven Vertrieb voranzutreiben, müssen Informationen des Kunden, die einen Produktbedarf erkennen lassen, systematisch erfasst und abgerufen werden. Die meisten VR-Banken nutzen bereits dialoggestützte Beratungsansätze, die in offenen Gesprächen mit den Firmenkunden der Informationserfassung dienen. Daran anknüpfend sind nun zwei Punkte in der Umsetzung besonders wichtig:

Erstens sind die erhobenen Informationen bezüglich ihrer Nützlichkeit in der Bedarfsermittlung zu hinterfragen. Je zielsetzungsgerechter die erhobenen Informa tionen sind, desto effizienter kann der Vertriebsprozess organisiert werden. Denn die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass nicht alle ermittelten Daten auch vertrieblich sinnvolle Informationen darstellen. Entbehrliche Daten müssen gegen bedarfsrelevante Informationen ausgetauscht oder im Sinne der Schlankheit gestrichen werden. Im Erstgespräch sollte also kein überdimensionierter Fragenkatalog schematisch abgearbeitet werden.

Beispielsweise muss der Firmenkundenberater nicht jede einzelne bisher bestehende Versicherung des Kunden abfragen. Wichtiger ist, dass die Affinität des Kunden für das Thema erfasst wird, eine Sensibilisierung erzeugt und eine Handlungsbereitschaft erkannt wird. Eine weitergehende Beratung sollte dann mit einem Spezialisten gemeinsam erfolgen.

Zweitens müssen die Firmenkundenberater mehr über die aktuelle Produktnutzung des Kunden erfahren. Denn nur mit konkretem Wissen können die Berater der "Vermutungsfalle" entgehen. Wertvolle Informationsquellen sind beispielsweise die Jahresabschlussberichte der Unternehmen, die Informationen zu Fremdbankverbindlichkeiten, Leasingaufwendungen oder Versicherungsaufwendungen enthalten.

4. Nachhaltige Begeisterung des Kunden auslösen: Der Einsatz der dialoggestützten Beratungsansätze und eine qualitativ hochwertige Präsentation der Ergebnisse können Firmenkunden beeindrucken und überzeugen. Nur mit einer vom Kunden gefühlten Wertigkeit des Gespräches mit seinem Berater dürfte er bereit sein, anderthalb bis drei Stunden für ein solches Gespräch zu investieren.

Aufgrund der historisch gewachsenen Positionierung sind die VR-Banken bei den mittelständischen Firmenkunden vor allem als Kreditlieferanten und Zahlungsverkehrsdienstleister positioniert. Nur wenige Firmenkunden nutzen das gesamte Leistungsspektrum des Finanzverbunds. Mit ihren langfristig gewachsenen Kundenbeziehungen können die Volksbanken und Raiffeisenbanken ihr Wissen über die aktuelle und zukünftige Bedarfsstruktur des Kunden weiter ausbauen.

Damit die genossenschaftlichen Institute die Potenziale im Firmenkundengeschäft besser erschließen können, sollten sie den Kundenbedarf systematisch erfassen und zielgruppenspezifische Produktbündel definieren. Mit einer stetigen aktiven Ansprache kann die Primärbank als lösungsorientierter Allfinanzanbieter positioniert werden und eine professionelle Präsentation der Ergebnisse die aufgebaute Allfinanzkompetenz wirkungsvoll unterstreichen.

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