Rechtsfragen

Gleichbehandlungsgesetz das Ende der Privatautonomie

Es dürfte allgemeiner Konsens sein, dass Ungleichbehandlungen nicht akzeptabel sind, wenn sie willkürlich, also ohne sachlichen Grund erfolgen. Doch zeichnet sich nicht die Privatautonomie als Prinzip mit Verfassungsrang und Kennzeichen einer markwirtschaftlichen Ordnung dadurch aus, dass eine Vertragspartei frei darüber entscheiden darf, mit wem zu welchen Konditionen sie ein Vertragsverhältnis eingeht?

Diese Frage ist mittlerweile vom europäischen Gesetzgeber in gleich vier "Antidiskriminierungsrichtlinien" beantwortet worden, die schwerpunktmäßig das Arbeitsrecht betreffen, aber auch das allgemeine Vertragsrecht erfassen.1) Damit werden ohne vorher die zivilrechtliche Bedeutung in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten ausreichend diskutiert zu haben - in der Europäischen Union der Vertragsautonomie bezüglich bestimmter Unterscheidungsmerkmale Grenzen gesetzt. Auch bei der Umsetzung der Richtlinienvorgaben in Deutschland überwog die politische Korrektheit gepaart mit dem von Partikularinteressen geprägten Wunsch nach zusätzlichem Diskriminierungsschutz.

Bereits zum Ende der 15. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung den Entwurf eines "Antidiskriminierungsgesetzes" vorgelegt, der nicht nur die Richtlinienvorgaben umsetzten wollte, sondern über die Brüsseler Vorgaben in mehreren Punkten hinausging. Wegen des damit verbundenen übermäßigen Eingriffs in die Vertragsfreiheit rief die Vorlage erhebliche Kritik insbesondere von Seiten der Wirtschaft hervor. Nachdem eine Einigung über diesen Gesetzentwurf im Vermittlungsverfahren wegen des Endes der Wahlperiode nicht mehr erreicht werden konnte, fiel die Vorlage der Diskontinuität anheim.

Über die EU-Vorgaben hinausgeschossen

Nicht zuletzt eingedenk der Kontroverse um das Antidiskriminierungsgesetz wurde in der Wirtschaft mit Zuversicht zur Kenntnis genommen, dass sich die neue Bundesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung vom November 2005 dem Grundsatz der "1:1"-Umsetzung von EU-Richtlinien verpflichtet hat. Hierdurch sollen Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden, die aus einer Befrachtung des deutschen Rechts mit zusätzlichen Anforderungen des deutschen Gesetzgebers über die EU-Vorgaben hinaus resultieren.

Umso größer war wenig später die Überraschung und Enttäuschung, als die Bundesregierung den Entwurf eines "Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)" vorlegte, der bis auf wenige Änderungen der Gesetzesvorlage der Vorgängerregierung entsprach. Von einer "1:1"-Umsetzung konnte nicht die Rede sein.

Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Diskussion über das "AGG" auch in der 16. Legislaturperiode mit unverminderter Vehemenz fortgeführt wurde. Das Ergebnis der Diskussion ist am 17. August 2006 im Bundesgesetzblatt verkündet worden 2) und ist teils am 18. August 2006 beziehungsweise zum anderen Teil am 1. Dezember 2006 in Kraft getreten.

Bedeutet das AGG nun das Ende der Privatautonomie? Ist die Kritik an diesem Gesetz überzogen? Die Wahrheit dürfte zwischen diesen Polen liegen. Eine sachgerechte Einschätzung setzt eine nüchterne Analyse des Gesetzeswortlautes voraus. Für Banken sind insbesondere die arbeitsrechtlich und die allgemein zivilrechtlichen Bestimmungen des AGG von Bedeutung, die nachfolgend skizziert werden.

Arbeitsrechtliche Regelungen des AGG

Die arbeitsrechtlichen Regelungen des AGG sind bereits am 18. August 2006 in Kraft getreten und umfassen im Wesentlichen folgende Punkte:

1. Ziel der arbeitsrechtlichen Regelungen: Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung (anders als im zivilrechtlichen Teil hier nicht gestrichen), einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität im Arbeitsleben sollen verhindert oder beseitigt werden, § 1 AGG.

2. Persönlicher Anwendungsbereich: Vor Benachteiligungen geschützt sind Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen. Als Beschäftigte gelten auch Bewerber im Bewerbungsverfahren sowie bereits ausgeschiedene Beschäftigte, § 6 Abs. 1 AGG. Hinsichtlich der Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie des beruflichen Aufstiegs schützt das AGG darüber hinaus Selbstständige und Organmitglieder (Geschäftsführer/Vorstände), § 6 Abs. 3 AGG.

3. Sachlicher Anwendungsbereich: Benachteiligungen aus den in § 1 AGG genannten Gründen sind unzulässig in Bezug auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit, alle Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen sowie den beruflichen Aufstieg, § 2 Abs. 1 AGG.

4. Der Begriff der Benachteiligung: Es lassen sich folgende Benachteiligungsformen unterscheiden: Die unmittelbare Benachteiligung (die weniger günstige Behandlung als die einer vergleichbaren Person), die mittelbare Benachteiligung ohne sachlichen Grund (durch ihrem Anschein nach neutrale, tatsächlich aber eine bestimmte Personengruppe benachteiligende Vorschriften, Kriterien oder Verfahren), die Belästigung und die sexuelle Belästigung, § 3 Abs. 1 - 4 AGG. Untersagt ist darüber hinaus die Anweisung zu einer Benachteiligung, § 3 Abs. 5 AGG.

5. Ausnahmen vom Benachteiligungsverbot - Rechtfertigungsgründe: Unterschiedliche Behandlungen können aufgrund beruflicher Anforderungen, der Religion oder der Weltanschauung ("Kirchenklausel"), wegen des Alters und zur Beseitigung bestehender Nachteile gerechtfertigt sein, §§ 5, 8 - 10 AGG.

Achtung bei Stellenausschreibungen

6. Pflichten des Arbeitgebers: Ein Arbeitsplatz darf nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ausgeschrieben werden. Arbeitgeber sind zudem verpflichtet, alle erforderlichen, auch vorbeugende, Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligung zu treffen. Insbesondere soll im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildungen auf die Unzulässigkeit entsprechender Benachteiligungen hingewiesen werden. Verstoßen Beschäftigte gegen Benachteiligungsverbote, hat der Arbeitgeber angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte benachteiligt, muss der Arbeitgeber Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten treffen. Daneben existieren diverse Bekanntmachungspflichten.

7. Rechtsfolgen unzulässiger Benachteiligung: Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen unwirksam, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen. Eine Benachteiligung durch Arbeitgeber oder Beschäftigte stellt zudem eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Darüber hinaus macht sich der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot schadensersatz- und entschädigungspflichtig. Immaterielle Schäden werden nach § 15 Abs. 2 AGG als Entschädigung verschuldensunabhängig ersetzt. Erfolgt die Benachteiligung aufgrund der Anwendung einer kollektivrechtlichen Vorschrift, ist der Arbeitgeber zur Entschädigung nur bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln verpflichtet. Im Unterschied zum Entschädigungsanspruch setzt der Anspruch auf Ersatz materieller Schäden ein Verschulden des Arbeitgebers voraus, § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG. Ansprüche auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder auf Beförderung bestehen hingegen nicht, § 15 Abs. 6 AGG.

8. Weitere Rechte der Beschäftigten: Außerdem ist ein Beschwerde- und ein Leistungsverweigerungsrecht des Beschäftigten (§§ 13, 14 AGG) sowie ein Maßregelungsverbot (§ 16 AGG) vorgesehen.

9. Besonderheiten beim Rechtsschutz: Es gilt eine zweistufige Ausschlussfrist. Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche sind zunächst innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend zu machen, § 15 Abs. 4 AGG. Lehnt der Arbeitgeber eine Zahlung ab, muss innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung Klage erhoben werden, § 61b ArbGG.

§ 22 AGG enthält eine Beweiserleichterung für den Beschäftigten. Dieser muss neben dem Vorliegen einer gegenüber einer anderen Person ungünstigeren Behandlung Indizien beweisen, die vermuten lassen, dass dies auf einem unzulässigen Grund im Sinne des § 1 AGG beruht. Hält das Gericht diese Indizien für "überwiegend wahrscheinlich", trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass keine unzulässige Benachteiligung vorliegt. Antidiskriminierungsverbände können im Prozess als Rechtsbeistand des Beschäftigten auftreten. § 17 Abs. 2 AGG statuiert neben den bestehenden Rechten des Betriebsrates in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf Arbeitnehmern ein eigenes Recht der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft, bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen die Pflichten aus dem AGG gerichtlich gegen diesen vorzugehen. Ansprüche Benachteiligter können von diesen nicht geltend gemacht werden.

Zivilrechtliche Regelungen des AGG

Die zivilrechtlichen Regelungen des AGG sind teils am 18. August 2006 beziehungsweise im Übrigen am 1. Dezember 2006 wirksam geworden (§ 33 Abs. 2 und 3 AGG). Sie erstrecken sich im Wesentlichen auf folgende Aspekte:

1. Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot: Gemäß § 1, § 2 Abs. 1 Nr. 8 und § 19 AGG wird ein zivilrechtliches Benachteiligungsverbot hinsichtlich des Zugangs zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen statuiert, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Verboten ist hiernach eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.

In Bezug auf das Wirksamwerden des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbotes ist § 33 Abs. 2 und 3 AGG zu beachten. Danach gelten die §§ 19 bis 21 AGG für zivilrechtliche Schuldverhältnisse in Bezug auf die Merkmale Rasse und ethnische Herkunft seit dem 18. August 2006 und in Bezug auf die übrigen Benachteiligungsmerkmale ab dem 1. Dezember 2006.

Individuelle Risikoprüfung beim Kreditgeschäft gesetzeskonform

2. Anwendungsbereich "Massengeschäft": Während gemäß § 19 Abs. 2 AGG eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse allgemein unzulässig ist, gilt für die übrigen Diskriminierungsmerkmale Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nur für "Massengeschäfte", um den Eingriff in die Vertragsautonomie nicht zu weit auszudehnen. Dies sind Rechtsgeschäfte, die "typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen".

Als positiv und konsequent zu bewerten ist die klarstellende Aussage in der Gesetzesbegründung, dass "Kreditgeschäfte meist auf einer individuellen Risikoprüfung" beruhen und es sich deshalb hierbei "regelmäßig nicht um Massengeschäfte" handele. Die weitere Konkretisierung des Begriffs "Massengeschäft" bleibt nun der Rechtsprechung überlassen.

Sachliche Gründe rechtfertigen Ausnahmen

3. Keine Benachteiligung bei Vorliegen eines sachlichen Grundes: Gemäß § 20 AGG soll eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes nicht vorliegen, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Demgemäß gilt das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nur dann, wenn die unterschiedliche Behandlung wegen der genannten Merkmale willkürlich ist.

4. Ansprüche bei Benachteiligung: Gemäß § 21 Abs. 1 AGG soll der Benachteiligte bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot - unbeschadet weiterer Ansprüche - die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen können. Für das Vertragsrecht führt dies in der Konsequenz zu einem Kontrahierungszwang, wenn die Entscheidung des Anbieters in den Anwendungsbereich des § 19 AGG fällt und die Unterscheidung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Nach § 21 Abs. 2 AGG ist der Benachteiligende bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbotes verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen.

Unternehmerische Entscheidungen stärker dokumentieren?

Positiv hervorzuheben ist, dass - entsprechend einer Forderung der Kreditwirtschaft - gemäß § 21 Abs. 5 AGG der Fol-gen-, Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch durch den Benachteiligten innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden muss. Nach Ablauf dieser Frist soll der Anspruch nur noch erhoben werden können, wenn der Benachteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen ist.

5. Darlegungs- und Beweislastverteilung: § 22 AGG enthält eine Beweislastregel. Aufgrund vielfacher Kritik an der ursprünglichen Fassung der Bestimmung, der zufolge zur Begründung eines Anspruchs lediglich die Glaubhaftmachung von Tatsachen im Hinblick auf eine Benachteiligung vorgesehen war, ist nach der endgültigen Fassung des Gesetzes nunmehr der "Beweis von Indizien" erforderlich, "die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen".

Die andere Partei - das heißt der mutmaßlich Benachteiligende - trägt sodann die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Insbesondere diese Bestimmung hat in der Praxis Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Auswirkungen hervorgerufen. So wird in Kreditinstituten ebenso wie in anderen Unternehmen die Frage gestellt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang unternehmerische Entscheidungen vorsorglich stärker als bisher dokumentiert werden sollten. Die Diskussion hierüber ist noch nicht abgeschlossen.

Neue Bürokratie

Für eine abschließende Antwort auf die Frage, ob das AGG der Privatautonomie ein Ende setzt oder sie zumindest stark beschneidet, ist es noch zu früh. Doch ist nicht zu verkennen, dass das Benachteiligungsverbot in Kombination mit der Beweislastregel auch solche Unternehmen unter einen Rechtfertigungsdruck setzt, die nicht im Sinne des AGG "diskriminieren". Um im Lichte der Beweislastregel unbegründeten Diskriminierungsvorwürfen begegnen zu können, muss jedes Unternehmen sich mit dem AGG auseinandersetzen und Vorkehrungen treffen. Der damit einhergehende Aufwand ist vor dem Hintergrund der ansonsten auf allgemeine Zustimmung stoßenden Forderung nach Bürokratieabbau fragwürdig.

Das in der politischen Diskussion gelegentlich anzutreffende Argument, das AGG regele im Grunde lediglich Selbstverständlichkeiten, so dass mit Umsetzungsaufwendungen in der Wirtschaft nicht in nennenswertem Umfang zu rechnen sei, erweist sich vor diesem Hintergrund schon jetzt als unzutreffend.

Zudem birgt das AGG mit seinen weit auslegbaren Begriffen und Regelungen ein nicht unerhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. Diese Unsicherheit wird sich erst im Rahmen der praktischen Umsetzung und in der Rechtsprechung der Gerichte klären lassen. Der erste Eindruck ist, dass das AGG kein Beitrag leistet, die Rahmenbedingungen für das Handeln von Unternehmen zu verbessern und den Rechtsfrieden in unserem Lande zu fördern.

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