Berufsbilder im Wandel

Von der Vertriebsbank zur Kundenbank

Bis in neunziger Jahre hinein war das Leben eines Bankers noch vergleichsweise komfortabel: Fast ehrfürchtig reihten sich seine Kunden in die Schlange vor dem Schalter ein, um dem Banker schließlich ihre Ersparnisse anzuvertrauen. 20 Jahre später ist von diesen "guten alten Zeiten" nicht mehr viel übriggeblieben, im Gegenteil: Die deutsche Kreditwirtschaft steckt in einer tiefen Vertrauenskrise. Wie eine aktuelle Umfrage der Eurogroup Consulting (EGC) zeigt, können sich 29 Prozent der Bankkunden vorstellen, in den kommenden zwölf Monaten ihre Bank oder Sparkasse zu wechseln. Diese alarmierend hohe Zahl wird in den Führungsetagen deutscher Kreditinstitute meist mit dem Verweis auf die Auswirkungen der Finanz- und Bankenkrise abgetan. Ist diese erst einmal überwunden, so die Hoffnung, werde das Vertrauen der Konsumenten schon wieder zurückkehren. Damit missachten viele Häuser die Tatsache, dass sich die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden in den vergangenen Jahren radikal verändert haben. Der Bankkunde ist heute selbstbewusster denn je und möchte von seinem Gegenüber als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Bestärkt wird er durch die Vergleichs- und Informationsmöglichkeiten des Internets, durch die der Kunde bei Beratungsgesprächen oftmals sogar besser informiert ist als sein Gegenüber. Fester Ansprechpartner gewünscht Trotz dieser bröckelnden Informations-Asymmetrie möchte der Kunde aber nicht als Fachexperte glänzen oder sich durch dicke Broschüren kämpfen. Vielmehr fordert er zu Recht von seinem Bankberater, dass er ihm diese Aufgabe abnimmt. Dies belegen auch die in der Studie geäußerten Erwartungen der Kunden an ihre Bank: Demnach wünschen sich 46 Prozent einen festen Ansprechpartner, der sich um sie kümmert. Mehr als die Hälfte der Bankkunden legt zudem Wert auf eine verständliche Sprache ihres Beraters (52 Prozent) sowie leicht verständliche Produkte (55 Prozent). Bedarfsgerechte Produkte sowie verlässliche Zusagen ohne Überraschungen zeichnen für 57 beziehungsweise 60 Prozent der Deutschen ebenfalls eine moderne, kundenorientierte Bank aus. Die Kunden wünschen sich also einen festen Ansprechpartner, der ihnen die Produkte vermittelt, die ihrem Bedarf entsprechen, und zwar in einer Art, die sie verstehen, nachvollziehen und damit im Zweifelsfall auch überprüfen können. Dieser Wunsch ist bei den Kunden von Filialbanken, allen voran der öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Institute, deutlich stärker ausgeprägt als bei den Kunden von Direktbanken. Persönliche Beratung ist ein Geschäftsmodell der Zukunft Auffällig ist, dass es kaum Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersklassen gibt. Der Wunsch nach einer engen, vertrauensvollen Beziehung zum Berater wird also nicht nur von älteren Kunden geäußert. Auch die Jüngeren wollen nicht von ihrer Bank oder Sparkasse allein gelassen werden - nicht trotz, sondern gerade wegen der Vielzahl an technischen Informationsmöglichkeiten. Damit zeigt sich: Die persönliche Beratung in den Filialen ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern das Geschäftsmodell der Zukunft. Nächste Wechselwelle baut sich auf Allerdings schaffen die meisten Banken es gegenwärtig nicht, diesen Wünschen gerecht zu werden. Zurück bleiben frustrierte Kunden, die sich enttäuscht von ihrer Bank oder Sparkasse abwenden. Laut EGC-Studie beschreiben fast sechs von zehn Kunden ihr Verhältnis zum Bankberater als nicht vertrauensvoll. Dabei schaffen es Direktbanken, die keine persönliche Beratung in Filialen anbieten, sogar eher, ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kunden aufzubauen (48 Prozent), als öffentlich-rechtliche Institute (39 Prozent) und Privatbanken (36 Prozent). Nur die Genossenschaftsbanken stehen mit 52 Prozent etwas besser da. Hinter diesem Misstrauen baut sich schon die nächste Wechselwelle auf. Denn wie die Studie zeigt, sind unter den bereits jetzt wechselbereiten Kunden diejenigen überproportional vertreten, die das Verhältnis zu ihrem Bankberater im besten Fall noch als geschäftsmäßig einstufen. Trotz dieser alarmierenden Zahlen schaffen es die Banken aber nicht, diesen Trend zu stoppen. 80 Prozent der befragten Bankkunden geben an, dass sich das Verhältnis zu ihrem Berater im vergangenen Jahr nicht verbessert hat. Über die Hälfte der Bankkunden wurde sogar noch nie von ihrem Kreditinstitut positiv überrascht oder kann sich zumindest nicht mehr daran erinnern. Kanal Telefon vielfach falsch positioniert Diese Zahlen verdeutlichen die Hilflosigkeit vieler Institute in der Beziehungspflege zum Kunden. Wie aber gelingt es den Banken und Sparkassen, ihr Verhältnis zum Kunden zu verbessern? Einige Finanzdienstleister haben versucht, die Telefonie komplett aus den Filialen zu verbannen und "Kundennähe" mit Call-Centern herzustellen. Dabei ist die Funktion eines Kunden-Service-Centers (Telefonie) ein wichtiger Aspekt im Zusammenspiel zwischen online und stationären Kanälen. Hier ist bei vielen Instituten der Kanal Telefon falsch ("Drückerkolonne") oder gar nicht positioniert. Andere Banken und Sparkassen schreiben ihren Beratern und Servicemitarbeitern von zentraler Stelle aus vor, wie viele Beratungsgespräche sie in der Woche zu führen haben und welche Produkte sie in der Woche den Kunden verkaufen müssen. Das Ziel, das hinter diesen Aktionen steckt, ist richtig. Der Weg ist allerdings der grundlegend falsche. Denn sowohl unpersönliche Anrufe durch Call-Center (nicht Kunden-Service-Center) als auch die zentrale Steuerung der Aktivitäten zur Kundenbindung dürften kaum dazu beitragen, das Vertrauen zwischen Berater und Kunde nachhaltig zu verbessern. Vielmehr müssen die Banken und Sparkassen ihr Geschäftsmodell von Grund auf erneuern und sich zu einer Kundenbank beziehungsweise Kundensparkasse entwickeln, die ihre Kunden auch auf persönlicher Ebene wieder stärker in den Mittelpunkt rückt. Vertriebsbanken mit überschaubarem Erfolg Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie dieses Modell im Detail aussehen kann, hilft ein Blick auf die Entwicklung des Retailgeschäfts der Banken und Sparkassen in den vergangenen Jahrzehnten. Die Kreditinstitute haben sich dabei von reinen Verwaltungs- zu System- bis hin zu den heute verbreiteten Vertriebsinstituten entwickelt. Die Verwaltungsinstitute waren durch eine feste Ordnung und persönliche Verhältnisse zwischen Kunde und Berater geprägt. Dabei profitierten die Banken und Sparkassen von ihrer örtlichen Nähe zum Kunden und der lokalen Verankerung ihrer Filialmitarbeiter, die dadurch oft auch eine persönliche Verbindung zu ihrem Gegenüber am Schalter hatten. Außerdem hatten die Kunden nur geringe Erwartungen an ihre Bank und traten vor allem als passive Produktabnehmer auf. Bedingt durch technische Neuerungen wie Geldautomaten folgte schließlich die Weiterentwicklung zu sogenannten Systeminstituten. Durch gestiegene Informationsund Vergleichsmöglichkeiten brach die passive Grundhaltung der Kunden langsam auf und wurde durch eine stärkere Renditeorientierung und wachsende Preissensibilität ersetzt. Die Banken und Sparkassen mussten nun also anfangen, den Kunden für sich zu gewinnen. Die Folge: Im zentral organisierten Vertrieb wurden die Kunden nach harten Kriterien segmentiert und dementsprechend unterschiedlich beraten. Der einzelne Berater folgte als Teil dieses Systems einer klaren "Push-Philosophie", Platz für eigenverantwortliches Handeln blieb kaum. Mit den wachsenden Informationsmöglichkeiten erhöht sich nun auch die Wechselbereitschaft der Kunden. Er entscheidet fortan selber, wem er sein Geld anvertraut, und möchte von den Instituten entsprechend überzeugt werden. Diese reagieren darauf mit einer proaktiven Strategie ihrer Vertriebssteuerung. Infolgedessen entstanden die auch heute noch verbreiteten Vertriebsinstitute - mit überschaubarem Erfolg, wie die Studie zeigt. Die Banken und Sparkassen müssen deshalb den nächsten Schritt in der Evolution des Retailgeschäfts einleiten: die Weiterentwicklung zur Kundenbank. Das bisherige "Hol- und Bringgeschäft" zwischen Kunde und Bank muss zu einem "Bindungsgeschäft" zwischen Kunden und persönlichem Berater ausgebaut werden. Dabei analysiert der Berater gemeinsam mit dem Kunden, welche Bedürfnisse dieser hat und zeigt ihm Möglichkeiten auf, wie seine Bedürfnisse am besten gedeckt werden können. Kundenorientierte Karrierepfade In diesem Modell kommt der Beratung in den Filialen eine verstärkte Bedeutung zu. Schließlich erhalten die Mitarbeiter vor Ort wertvolle Erkenntnisse, die für eine persönliche, bedürfnisorientierte Beratung unerlässlich sind. Banken und Sparkassen müssen daher die Bedeutung ihrer Filialen aufwerten. Dies umfasst auch eine stärkere Rolle des Filialleiters als Repräsentant vor Ort. Außerdem müssen Spezialisten als Bestandteil des Team künftig vermehrt dezentral angesiedelt werden. Zu der stärkeren Bedeutung der Filialen gehören auch Weiterbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter vor Ort. Denn um Karriere zu machen und mehr verdienen zu können, muss der Kundenberater gegenwärtig in eine Organisationseinheit wechseln, die vermögendere Kunden betreut. Die Folge sind häufige Beraterwechsel in den Filialen. Zurück bleiben irritierte Kunden, die meist nur per Brief über den Wechsel informiert werden. Eine echte und damit langfristig profitable Kundenbindung kann so nicht entstehen. Die Banken müssen ihren Mitarbeitern daher "kundenorientierte Karrierepfade" anbieten, um langfristige Kunden-Berater-Beziehungen zu gewährleisten. Mehr Eigenverantwortung Gleichzeitig muss den Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung übertragen werden, um ihre Kunden tatsächlich individuell und bedürfnisorientiert beraten zu können. Die starre Segmentierung anhand bestimmter Kriterien ist hier genauso fehl am Platz wie allgemeine Vorgaben, etwa zur Anzahl der in der Woche zu führenden Beratungsgespräche. Das soll nicht heißen, dass Banken und Sparkassen beim Modell der Kundenbank gänzlich auf eine Erfolgsmessung ihrer Mitarbeiter verzichten müssen. Nur die Art der Erfolgsmessung muss überdacht werden: Team- statt Einzelziele erhöhen den Zusammenhalt der Filialmitarbeiter untereinander und schaffen zusätzliche Transparenz. Die Überwachung sollte darüber hinaus nicht an Prozessen wie etwa der Anzahl der geführten Gespräche, sondern an Zielen ausgerichtet werden. So entsteht eine Verantwortungskultur innerhalb der Belegschaft, die eine klare Ergebnisverantwortung mit einschließt. Kreditinstitute, die diese Zusammenhänge verstanden haben und erfolgreich umsetzen, können ihren Kunden dauerhaft eine optimale und faire Leistungsversorgung durch kompetente und persönlich agierende Mitarbeiter bieten. Wie die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, ist dadurch schon mittelfristig eine Ertragssteigerung von bis zu 30 Prozent möglich. Es ist für die Banken und Sparkassen also an der Zeit, aus der Erstarrung zu erwachen und ihre Kunden wieder dorthin zu holen, wo sie hingehören: in das Zentrum ihres Handelns.

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