Verbraucherschutz

Wer schützt uns vor den Verbraucherschützern

Die Nerven der Finanzindustrie und ihres Vertriebs liegen blank. Einbrüche bei den Zahlen für neue Vertragsabschlüsse um bis zu 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr, Kündigungen laufender Verträge, von der Finanzkrise aufgeschreckte, misstrauische und vor Gericht ziehende Verbraucher, hohe Anforderungen durch neues Vermittlerrecht, Dokumentationspflichten und Haftung für falsche Beratung verderben die Freude am Geschäft. Seit Ausbruch der Finanzkrise vor gut einem Jahr ist das Ansehen der Finanzindustrie in der Öffentlichkeit ramponiert.

Zum Sprachrohr der empörten Verbraucher wurden die Verbraucherzentralen. Deren Wort wird seit der Finanzkrise stärker wahr und ernst genommen. Sie organisieren Massenveranstaltungen für Lehman-Opfer, unterstützen und führen Klagen, "diffamieren einen ganzen Berufsstand" mit dem "Finanz-Hai-Video", reizen die Branche mit einem Geldanlage-Ratgeber aus Ampelfarben und fordern Millionen für den Aus bau flächendeckender Finanzberatung. Sie fordern die Verbraucher ausdrücklich auf, den Beratungen der Finanzindustrie zu misstrauen und stattdessen in Gelddingen den Rat der Verbraucherzentralen zu suchen.

Kein Schaden durch Verbraucherschutz

Die so Kritisierten reagieren auf ihre Weise: Statt die schon seit Jahren geäußerten Vorhaltungen endlich ernst zu nehmen, versucht man, die Kritiker mundtot zu machen und ihnen jegliche Qualifikation abzusprechen. Der kollektive Aufschrei der Branche gipfelt in dem scheinheiligen Appell: "Wer schützt uns vor den Verbraucherschützern?"

Die Antwort ist einfach: Niemand. Es bedarf keines Schutzes. Denn durch die Beratung der Verbraucherzentralen erleiden Verbraucher keinen Schaden. Der durch die Auswahl falscher Finanzprodukte geschätzte jährliche Schaden bei den Verbrauchern von 30 Milliarden Euro entsteht durch die Verkäufer bei Bank und Versicherung und deren Vertriebsorganisationen. Dort liegen die Quellen des Marktversagens - nicht bei den Verbraucherschützern.

Verbraucherberater haben nämlich kein Interesse daran, den Ratsuchenden die Preise für die ins Auge gefassten Geldan-lage-"Produkte" zu verschweigen. Im Gegenteil. Für sie ist es eine selbstverständliche Aufgabe, Verbraucher gerade hierüber aufzuklären und auf versteckte oder verschleierte Kosten hinzuweisen. Verbraucherberater haben kein Interesse daran, Anlagerisiken zu beschönigen. Im Gegenteil. Sie sind diejenigen, die die Verbraucher explizit auf die Risiken der ins Auge gefassten Geldanlagen aufmerksam machen und ihnen so erst die Möglichkeit eröffnen, sich bewusst für eine sichere oder weniger sichere Anlageform zu entscheiden.

Verbraucherberater haben kein Interesse daran, Verbraucher durch langfristige Verträge zu binden. Sie sind im Gegenteil diejenigen, die auf die Risiken langer Bindungen hinweisen, auf die Erhaltung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der

Verbraucher hinwirken und für das "Sparen in Etappen" plädieren.

So hat es bislang keinen einzigen Fall gegeben, in dem ein Verbraucher einer Verbraucherzentrale einen Schaden aufgrund einer Falschberatung vorgetragen oder durchgesetzt hätte. Das liegt an dem grundlegend unterschiedlichen Beratungsansatz zwischen dem Finanzvertrieb und dem Verbraucherschutz.

Verbraucherzentralen sind keine Anlageberatungs-Dienstleister

Wenn die Finanzvertriebe durch die Verbraucherzentralen und ihrer Forderung nach der Ausweitung der Beratung eine Existenz bedrohende Konkurrenz befürchten und hiergegen zu Felde ziehen, so beruht dies auf einem grundlegenden Missverständnis von Verbraucherarbeit. Verbraucherzentralen bieten die Beratung nicht als Wettbewerber von Bankern, Maklern oder anderen Beratern an. Es ist nicht ihr Job, das Marktversagen mit ihrem Beratungsangebot zu heilen. Es ist nicht ihr Job, Nachfrage im Markt zu erkennen und darauf mit einem Dienstleistungsangebot "Beratung" zu reagieren. Das machen betriebswirtschaftlich agierende Unternehmen.

Gemeinnützige (zum Teil mit Steuern finanzierte) Vereine wollen anderes: Sie beraten, um zu erfahren, was im Markt schief geht. Sie beraten, um Probleme und Missstände aufzudecken und um diese Erkenntnisse an Politik und Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Seit den siebziger Jahren richten die Verbraucherschützer ihr Augenmerk auf die Bereiche, in denen Marktversagen erkennbar ist. Dieses Marktversagen identifizieren die Verbraucherschützer in der Konfliktberatung. Kaputte Kühlschränke, verweigerte Gewährleistungsansprüche, Reinigungspfusch, ungewollte Buchclub- und Zeitschriftenverträge, Wucherzinsen, illegale Telefonakquise, überhöhte Telefon- oder Handwerkerrechnungen, knebelnde Vertragsklauseln oder überteuerte Versicherungen: Ausgangspunkt der Beratung ist stets ein rechtlicher Konflikt zwischen Verbraucher und Anbieter.

Häufen sich Beschwerden über bestimmte Vertriebsformen, Anbieter, Branchen oder Geschäftspraktiken, gewinnen die Verbraucherzentralen einen unverstellten Blick auf das Marktgeschehen. Diese Fälle (über die Beratung hinaus) zu analysieren, zu bündeln und Aktivitäten zu entwickeln mit dem Ziel, benachteiligende Geschäftspraktiken zu unterbinden, ist das eigentliche Kerngeschäft der Verbraucherschützer - eine echte "Marktwächterfunktion".

Aus der Konfliktberatung und der Kenntnis über fehlgeleitetes Marktgeschehen aus erster Hand entsteht eine profunde Kenntnis über "gute" und "schlechte" Angebote und die Kompetenz, die Verbraucher zu beraten, um schlechte oder unpassende Angebote zu meiden.

Eigentliches Ziel der Verbraucherschützer ist es also, überflüssig zu werden. Das Beratungsangebot "Wie lege ich mein Geld richtig an?" würde alsbald eingestellt werden, gäbe es keine Verbraucher mehr, die mit dem Hilferuf kämen: "Ich habe mein Geld verloren - wie kann ich es wieder zurück bekommen?"

Geldanlageberatung ist keine Geheimwissenschaft ...

Ein vermeintlich kompliziertes Anlage"Produkt" zu durchschauen, ist meist gar nicht so schwer. Gerade bei den Finanzprodukten lässt sich ein "schlechter" Vertrag relativ leicht anhand einiger Merkmale nachweisen. Wer diese identifiziert und schlimme Fehler vermeidet, hat schon viel gewonnen. Nicht aus dem Dispo sparen, auf die Kosten achten, in Etappen sparen, Kombinationsmodelle meiden, sich nicht von angeblich möglichen Steuervorteilen verführen lassen - wer diese Grundsätze beachtet, wird kein Geld verlieren, sondern kann sein Vermögen sogar behutsam vermehren. Wem deutlich gesagt wird, dass es "mehr Rendite" nur bei "weniger Sicherheit" gibt, kann eigenverantwortlich eine Entscheidung treffen.

Die Qualität einer Geldanlage kann vollständig nach den Merkmalen "Sicherheit", "Rendite", Liquidität" und "ethische Verwendung" beschrieben werden (die häufig genannte "Transparenz" ist kein Wert an sich, wird allerdings zu einem wichtigen Indiz, weil es bei Finanzprodukten einen belegten Zusammenhang zwischen "Intransparenz" und "Nachteilen für den Kunden" gibt - siehe die kürzlich veröffentlichte Studie der EU-Kommission zu den Kosten bei Girokonten).

... sie wird aber dazu gemacht!

Aufgabe des Beraters ist es, gemeinsam mit dem Ratsuchenden (sei es der risikobereite, gut verdienende Single oder die alleinerziehende Krankenschwester) herauszufinden, welches der Merkmale für sie oder ihn unverzichtbar oder sehr wichtig ist. Nach dieser Analyse kommen meist nur zwei oder drei Produktgruppen in Betracht. Die Entscheidung für einen bestimmten Anbieter oder ein konkretes Angebot innerhalb der in Frage kommenden Produktgruppe kann dann anhand von Testergebnissen (zum Beispiel der Stiftung Warentest, Ökotest oder anderer Wirtschaftsmagazine) getroffen werden. Immer gilt: Kein Verbraucher soll etwas unterschreiben, was er nicht versteht. Und: Versteht ein Berater eine Vertragsgestaltung nicht, so verdient sie es schon aus diesem Grunde nicht, in die engere Wahl gezogen zu werden.

Die Finanzbranche wehrt sich gegen die Anwendung dieser einfachen Regeln: Finanzprodukte seien kompliziert, es bedarf eines hohen Fachwissens, um alle Produkte zu kennen und folglich sachgerecht beraten zu können. Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Finanzwirtschaft "macht" die Produkte, denn sie hat ein großes Interesse an (scheinbar) komplizierten Gestaltungen. Komplexität und Intransparenz nützt ihnen. So behalten sie die Definitions- und Beratungsmacht. Nachteile, Kosten und Risiken können so gut verborgen werden.

Ampelcheck Geldanlage: Geht nicht gibt's nicht!

Transparenz hingegen tut weh. Und Verbraucherzentralen, die die Transparenz durch "Ampelchecks" auf die Spitze treiben, tun besonders weh. Denn ein mit dem Ampelcheck ausgerüsteter Kunde kann Fragen stellen, bekommt Zweifel und lässt sich nicht mehr so einfach zur Unterschrift bewegen.

Erfreulicherweise gibt es auch in der Branche Ansätze für einfache Produkte und eine echte Transparenz. Die "Informationsblätter" der ING-Diba sind dafür ein Beispiel, und im September-Heft dieser Zeitschrift plädierte der Präsident des Sparkassenverbandes Baden-Württemberg, Peter Schneider, für eine "Komplexitätsreduzierung" und das gute alte Sparbuch. Sind nun bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen lauter inkompetente Mitarbeiter tätig, und sind allein die Verbraucherverbände in der Lage, richtig zu beraten? Nein.

Haftung, Ausbildung und Dokumentation

Falschberatung entsteht nicht durch zu wenig Fachwissen, sondern durch falsche Anreize. Der Verkauf wird über Provisionen oder durch Vorgaben gesteuert. Wer dem ratsuchenden Verbraucher gegenüber sitzt, muss schon über eine große finanzielle Unabhängigkeit oder hohes persönliches Ethos verfügen, um ihm das anzubieten, was für ihn das Beste ist. Am Verkauf einer günstigen Risiko-Lebensversicherung und einem gut verzinsten Sparbrief verdient der Anbieter kaum etwas. Da werden lieber mit hoher Provision belegte fondsgebundene Rentenversicherungen verkauft oder Zertifikate, bei denen noch eine Extra-Marge fließt. Zur Beruhigung aller, die sich wirklich um die Verbraucher Sorgen machen: Verbraucherzentralen haften selbstverständlich nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches für Schäden, die durch ihre fehlerhafte Beratung entstehen (wofür es bislang - wie erwähnt - keine Fälle gibt).

Fast alle Berater haben einen wirtschaftswissenschaftlichen oder juristischen Hochschulabschluss oder Fachhochschulabschluss und/oder langjährige Erfahrung. Ständig finden interne und externe Schulungen statt. Über spezielle Informationsdatenbanken wird auf das Wissen der Kollegen in den anderen Verbraucherzentralen zurückgegriffen. In einigen Organisationen gibt es spezielle Kompetenzen, etwa zur nachhaltigen Geldanlage oder zur betrieblichen Altersvorsorge.

Die gesetzlichen Dokumentationspflichten gelten für gewerblich tätige Berater/Verkäufer, nicht für Verbraucherberater. Sie sind eine Krücke, um die Beweissituation der Verbraucher bei Falschberatung zu verbessern. Weil wegen der anders gearteten Interessenlage das Risiko der Falschberatung bei den Verbraucherschützern nicht besteht, gibt es keinen sachlichen Grund, jene zu vergleichbarer Dokumentation zu verpflichten. Dennoch dokumentieren die meisten Kollegen ihre Beratung, zum Beispiel, um Nachfragen effektiver zu beantworten oder um Beratungsfälle auszuwerten.

Keine Angst vor den Verbraucherzentralen!

Finanzdienstleister sollten sich nicht um den "Standard" der Berater sorgen. Sie müssen auch nicht fürchten, dass die Verbraucherzentralen auf dem "Dienstleistungsbereich" Beratung in der Breite zu Konkurrenten werden. Fürchten sollten sie die Verbraucherzentralen, die durch die Beratung Missstände aufdecken, publizieren und mit rechtlichen Instrumenten unterbinden. Das werden sie tun, so lange es Verbraucherbeschwerden über die Geldindustrie gibt.

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