Perspektiven im Retailbanking

Anlageberatung in der Bankenaufsicht

Kaum eine andere Wertpapierdienstleistung hat in jüngerer Vergangenheit ähnliche Aufmerksamkeit von Gesetzgebern und Regulatoren erhalten wie die Anlageberatung.1) Dies mag in der ihr innewohnenden Komplexität, der Breitenwirkung oder ihrer unstrittig ausgeprägten Vertrauensempfindlichkeit begründet liegen. In jedem Fall steht fest, dass die Anlageberatung durch ihre besondere Bedeutung aus dem Kreis der übrigen Wertpapierdienstleistungen hervortritt und eine ausgesprochen hohe Regulierungsdichte aufweist. Die Krisenauswirkungen legten vor allem die unterschiedliche Wahrnehmung von Beratungssachverhalten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf der einen Seite und die der Kunden auf der anderen Seite offen. Es zeigte sich, dass es in der Regel nicht möglich war, die Tatsachen, die einem etwaigen Falschberatungsvorwurf zugrunde lagen, verlässlich zu ermitteln. Zur Rekonstruktion der konkreten Beratungssituation stand lediglich der sogenannte "WpHG-Bogen" zur Verfügung, dessen Inhalt in der Regel jedoch nur unvollständige Informationen zu etwaigen Falschberatungsvorwürfen liefern konnte. Üblicherweise führte dies zu einer "Aussage-gegen-Aussage"-Situation, die in zivilrechtlicher Hinsicht bei einer "normalen" Beweislastverteilung darin mündete, dass Falschberatungsvorwürfe nicht bewiesen werden konnten.

Beratungsprotokoll: Dokumentation gut angenommen

Mit diesen Erwägungen im Hintergrund führte der Gesetzgeber mit Einfügung des § 34 Abs. 2 a WpHG eine neue Dokumentationspflicht in der Anlageberatung ein. Die Vorschrift trat mit Wirkung zum 1. Januar 2010 in Kraft. Von Beginn an hielt die für die Aufsicht über die verpflichteten Wertpapierdienstleistungsunternehmen zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die ordnungsgemäße Einhaltung der neuen Pflicht nach. Vor allem im Wege der Veröffentlichung eines neuen Moduls BT 6 des Rundschreibens zu den Mindestanforderungen an die Compliance-Organisation (MaComp) hat die BaFin zum Ausdruck gebracht, welche Vorkehrungen sie von den regulierungsunterworfenen Unternehmen erwartet.

Die Prüfungen nach § 36 WpHG sowie die mittlerweile etablierte Praxis der BaFin, bei Vor-Ort-Besuchen die Beratungsdokumentation in Augenschein zu nehmen, haben gezeigt, dass die Dokumentationspflicht überwiegend gut angenommen wurde. So haben die Wertpapierdienstleistungsunternehmen umfangreichen organisatorischen Aufwand auf sich genommen, um die ordnungsgemäße Erstellung zu unterstützen. Auch ist zu beobachten, dass das Beratungsprotokoll regelmäßig Bestandteil von Schulungen oder etwa Inhalt von unternehmensinternen Überprüfungen2) ist.

Nutzung von Freitextfeldern reicht noch nicht aus

Wo Licht ist, ist jedoch auch Schatten: Als "Dauerthema" ist nach wie vor zu diagnostizieren, dass die Nutzung von Freitextfeldern mitunter noch immer nicht ausreicht, um die tatsächliche Beratungssituation zu rekonstruieren. Die BaFin hat seit Einführung der Dokumentationspflicht stets darauf hingewiesen, dass eine schablonenartige Dokumentation in Formularen die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Protokollierung im Sinne des § 34 Abs. 2 a WpHG nicht erreicht. Stattdessen vertritt sie hier die Ansicht, dass die korrekte Dokumentation eines Beratungsgesprächs via Formular in der Regel nur durch die Einfügung individualisierter Anmerkungen im Freitext möglich sein wird.

Mitarbeiter- und Beschwerderegister gemäß § 34d WpHG ("Beraterregister")

Neben der Einführung der Protokollierungspflicht hat der Gesetzgeber die anhaltende Kritik an der Anlageberatung zum Anlass genommen, den Wertpapierdienstleistungsunternehmen weitere anlageberatungsbezogene Pflichten aufzuerlegen. Grundlage der gesetzgeberischen Überlegungen war die Überzeugung, dass der Schutz vor Falschberatung weiter verbessert werden müsse. Als maßgebliche Problemfelder wurden zum einen die heterogene Qualifikation der Anlageberater sowie zum anderen die einseitige Beeinflussung der Anlageberatung durch interne Vertriebsvorgaben identifiziert.

Mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (AnsFuG) wurde die Vorschrift des § 34 d WpHG in das WpHG eingefügt. Kernstück der neuen Regelung ist die Einrichtung einer internen Datenbank bei der BaFin, in die die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Personen melden müssen, von deren Tätigkeit vermutet wird, dass sie Einfluss auf die Qualität der Anlageberatung nimmt. Dies betrifft neben den Anlageberatern selbst auch Vertriebsbeauftragte sowie Compliance-Beauftragte.

Bei Anlageberatern sind darüber hinaus auch die Beschwerden anzuzeigen, die aufgrund deren Tätigkeit erhoben wurden. Dem Beschwerdeaufkommen wird dabei die Funktion eines Risikoindikators beigemessen. Deshalb sind jegliche Beschwerden zu melden - sowohl "berechtigt" als auch "unberechtigt" erhobene Beschwerden.3) Die BaFin nutzt die Informationen, um Unregelmäßigkeiten - etwa Beschwerdehäufungen - zu erkennen. Ob allerdings einer Beschwerdehäufung tatsächlich ein Fehlverhalten oder eine organisatorische Schwäche zugrunde liegt, bleibt stets der Beurteilung der BaFin nach einer Prüfung des Einzelfalls vorbehalten.

Neben der Anzeigepflicht führte der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 34 d WpHG auch erstmals ausdrückliche Anforderungen an die Qualifikation der betroffenen Mitarbeiter ein. So legt die Regelung fest, dass Anlageberater, Vertriebsbeauftragte sowie Compliance-Beauftragte nunmehr jeweils die für ihren Aufgabenbereich entsprechende Sachkunde und zudem Zuverlässigkeit vorweisen müssen. Die beaufsichtigten Institute dürfen danach nur noch ausreichend qualifiziertes Personal zum Einsatz bringen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass derart vertrauensempfindliche Wertpapierdienstleistungen wie etwa die Anlageberatung nur durch qualifizierte Mitarbeiter erbracht werden können. Während die Zuverlässigkeit die allgemeine gewerberechtliche Anforderung an die Person beschreibt, beinhaltet die Sachkunde die fachliche Befähigung, die anzeigepflichtige Tätigkeit ordnungsgemäß auszuführen. Welche konkreten Anforderungen an die Sachkunde zu stellen sind, ist der WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung (WpHGMaAnzVO) zu entnehmen, die für jede der anzeigepflichtigen Personengruppen detaillierte Vorgaben vorsieht.

Produktinformationsblatt: Verständlichkeit verbesserungsfähig

Ebenfalls mit dem AnsFuG führte der Gesetzgeber die Verwendung von sogenannten "Beipackzetteln" im Beratungsgeschäft ein. So ist dem Kunden nun bei Abgabe von Kaufempfehlungen im Rahmen der Anlageberatung ein entsprechendes WpHG-Informationsblatt zur Verfügung zu stellen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Anleger durch das Informationsblatt in die Lage versetzt werden soll, die empfohlenen Produkte zu beurteilen. Dies soll ihm - so der Gesetzgeber in seiner Begründung - ein hinreichendes Verständnis der Finanzinstrumente vermitteln, das ihm eine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglicht. Wesentlicher Grundgedanke ist damit die Vergleichbarkeit der Produktempfehlungen.

Ziel ist es, den Anleger mit den essenziellen Informationen zu versorgen, die er für seine Anlageentscheidung benötigt. Um das Ziel der Vergleichbarkeit zu erreichen, sieht das Gesetz in § 5 a WpDVerOV detaillierte Vorgaben an die Gestaltung der Informationsblätter vor. In ersten Markterhebungen hat die BaFin dennoch beobachtet, dass die Verständlichkeit der Informationsblätter noch verbesserungsfähig war. So wurden zum Beispiel häufig Formulierungen und Fachbegriffe gewählt, die dem durchschnittlichen Privatanleger nicht ohne Weiteres zugänglich waren. Auf Grundlage dieses Befundes hat die BaFin zwischenzeitlich ein Rundschreiben zu den WpHG-Informationsblättern veröffentlicht, das weitere Hinweise zur Auslegung der gesetzlichen Vorschriften enthält.

Dauerthema Werbung

Ein "Dauerthema" im Bereich der Aufsicht über die Anlageberatung ist darüber hinaus auch die Ordnungsmäßigkeit des zum Einsatz gebrachten Werbematerials. Das liegt vor allem in dem Umstand begründet, dass Anlageberatung in der Regel anhand des Werbematerials vorgenommen wird. Andere Informationsdokumente wie Wertpapierprospekte sind bereits reguliert, spielen aber bei realitätsnaher Betrachtung für die Beratungspraxis keine relevante Rolle. Deshalb ist von entscheidender Bedeutung, dass das verwendete Werbematerial wie Marketingflyer die aufsichtsrechtlichen Anforderungen einhält. Andererseits wäre zu befürchten, dass sich Mängel in den Werbeunterlagen unmittelbar auf die Qualität der Anlageberatung auswirken.

Relevante Einflüsse europäischer Entwicklungen

Neben den Entwicklungen auf nationaler Ebene strömen zunehmend europäische Einflüsse in die Aufsichtspraxis der BaFin ein. Besonderes Augenmerk ist dabei derzeit insbesondere den "Guidelines" zu widmen, die von der europäischen Behörde "European Securities and Markets Authority" (ESMA) ent wickelt und veröffentlicht werden. Die ESMA-Guidelines verdienen deshalb besondere Aufmerksamkeit, da durch sie europäisch getriebene Erwägungen Eingang in die nationale Auslegungspraxis der Aufsichtsbehörden der Mitgliedsstaaten finden. Im Bereich der Organisations- und Wohlverhaltensregeln sind bislang insbeson dere die Guidelines zur Compliance-Organisation4) ,

zur Prüfung der Geeignetheit5) sowie zu Anforderungen an Vergütungssys teme von Wertpapierdienstleistungsunternehmen6) von besonderer Relevanz. Während die ersten beiden Guidelines bereits durch Einfügung in die MaComp Eingang in die Verwaltungspraxis der BaFin gefunden haben, steht die Überführung der Guideline zu den Vergütungssystemen unmittelbar bevor.

Regulierung wird weitergehen

Obgleich die Anlageberatung bereits eine Intensivierung der aufsichtsrechtlichen Pflichten erfahren hat, ist ein Ende weiterer Regulierung nicht abzusehen. Vielmehr hat sich auf nationaler Ebene mit dem Honorar-Anlageberatungs gesetz die Weiterentwicklung des entsprechenden Aufsichtsrechts manifestiert. Auf europäischer Ebene kündigen sich durch die Revision der MiFID erhebliche Neuentwicklungen der europäischen Rahmenbedingungen an, die weitere Umstellungen des Beratungsgeschäfts nach sich ziehen werden.

Bereits jetzt steht fest, dass nationale wie europäische Entwicklungen schon grundlegenden Einfluss auf das Antlitz der Anlageberatung genommen haben. Die Mixtur aus bestehenden aufsichtsrechtlichen Pflichten und den kommenden Anforderungen werden die Praxis der Anlageberatung jedoch weiter nachhaltig verändern.

Fußnoten

1) Die Darstellungen beziehen sich auf Sachverhalte im Anwendungsbereich des WpHG. Etwaige andere Beratungsdienstleistungen wie etwa die Beratung in Bankprodukte bleiben unberücksichtigt.

2) Neben den Kontrollen der typischen Kontrollumgebung (Compliance, Interne Revision), werdend diese Überwachungshandlungen zunehmend auch von den betroffenen operativen Geschäftsbereichen selbst durchgeführt. Dies mag unter anderem daran liegen, dass die Fehlerquote in diesem Bereich auch zunehmend Eingang in die Zielerreichungsmessung operativer Bereiche gefunden hat.

3) Zur Kritik der Industrie und Erwartungen der BaFin, vgl.: BaFin-Journal, November 2013, S. 12 ff. (abrufbar unter: www.bafin.de).

4) "Guidelines on certain aspects of the MiFID compliance function requirements".

5) "Guidelines on certain aspects of the MiFID suitability requirements".

6) "Guidelines on remuneration policies and practices (MiFiD)".

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem Privatkundenforum 2013.

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