Zweigstelle als Treffpunkt

Marktforschung - Die Bankfiliale bleibt Beziehungsplattform

Von Marco Nink - Deutsche Bankkunden sind mit den Leistungen ihrer Geldinstitute unzufrieden. Jahrelang haben die hiesigen Banken ihre Filialnetze ausgedünnt und den persönlichen Kundenkontakt vernachlässigt. Ein Fehler - denn Untersuchungen zeigen, dass der direkte Kontakt zwischen Mitarbeiter und Kunde einen Differenzierungs- und damit Erfolgsfaktor darstellt.

Zugangswege zur Bank werden je nach Anlass genutzt

Bei allen technischen Hilfsmitteln, die heutzutage Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit einer jeden Filialbank sind, hat die klassische Geschäftsstelle nach wie vor eine zentrale Bedeutung für den Kunden. Die Rolle, die Geschäftsstellen beim sogenannten Multi-Channel-Banking spielen, lässt sich an der Besuchsfrequenz ablesen: 37 Prozent der Deutschen kommen mindestens einmal wöchentlich mit "ihrer" Filiale in Berührung, weitere 43 Prozent zumindest monatlich. Für 81 Prozent der Deutschen ist die persönliche Beratung in der Bank wichtig oder sehr wichtig.

Dies gilt auch für die Gruppe der Kunden, die ihre Standardbankgeschäfte bereits online abwickeln (73 Prozent). Untersuchungen zufolge erledigt jeder dritte Bankkunde seine Bankgeschäfte ausschließlich im persönlichen Kontakt in der Filiale. Hingegen wickelt nur jeder zehnte Bankkunde alle seine Bankgeschäfte über das Internet oder per Telefon ab. Kurz gesagt: Der Großteil der Bankkunden agiert nicht nach dem Grundsatz "entweder oder", sondern vielmehr nach der Maxime "sowohl als auch". Filiale, Geldautomat, Serviceterminal, Internet oder Telefon werden je nach Anlass genutzt.

Der große Stellenwert persönlicher Beratung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass ein nicht unerheblicher Teil der Menschen hierzulande in Finanzfragen nicht sonderlich bewandert ist. Wie aus dem Finanzplanungsindex 2008 des Bundesverbandes deutscher Banken hervorgeht, weist fast jeder zweite deutsche Erwerbstätige eine nur ausreichende oder sogar mangelhafte Finanzkompetenz auf.

Wettbewerbsdifferenzierung über die Filiale

Es verwundert daher nicht, dass eine in der Nähe gelegene Filiale ein wichtiges Kriterium für die Wahl des Finanzdienstleisters ist - ermöglicht sie doch den bequemen Zugang zu einem Ansprechpartner, der in Finanzfragen fachkundige Ratschläge geben kann. Fast drei Viertel der Deutschen verfügen nach eigenen Angaben über einen persönlichen Ansprechpartner bei ihrer Hauptbank.

Der persönliche Kontakt in der Filiale stellt eine gute Möglichkeit dar, sich im Wettbewerb zu differenzieren. Auf den ersten Blick unterscheiden sich Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbank oder Privatbanken kaum voneinander. Fast alle "Vollbanken" werben heute mit attraktiven Zinsen für Tagesgeldkonten, günstigen Depots oder kostenlosen Girokonten.

Kunden zur Untreue erzogen

Angesichts der Austauschbarkeit der Finanzinstitute scheint es daher wenig verwunderlich, dass 41 Prozent der Deutschen schon einmal über einen Wechsel zu einer anderen Bank nachgedacht und mehr als ein Drittel der Bankkunden ihre Bank schon mindestens einmal gewechselt haben. Damit liegt die Wechselquote heute um 30 Prozent höher als noch 2005 - eine Entwicklung, die auf die Neukundenakquise der Banken zurückgeht und verdeutlicht, wie heiß umkämpft der Privatkundenmarkt ist. Wachstum findet hierzulande hauptsächlich über Kundenabwerbungsprogramme statt. Hierdurch werden Kunden zu einem häufigen Wechsel der Bank erzogen. Vor diesem Hintergrund ist das Thema Kundenbindung essenziell. Die Kundenberater sind es, die die Kundenbeziehung gestalten und prägen. Je austauschbarer die Produkte und Dienstleistungen von Banken werden, desto wichtiger wird die kompetente, umfassende und verständliche Beratung. Das gilt zum Beispiel auch für kundenfreundlich gestaltete Websites, die Kundenbindung fördern können.

Im europäischen Vergleich schneiden die deutschen Banken schlecht ab

Allein die physische Anwesenheit von Mitarbeitern in einer Filiale fördert Kundenbindung jedoch nicht. Es kommt vielmehr auf die Erfahrungen an, die Kunden im Kun-den-Mitarbeiter-Kontakt machen. Wie aus einer Untersuchung zum Retailbanking von Adobe Systems Incorporated und Gallup hervorgeht, scheinen die Erlebnisse, die hierzulande zwischen dem Betreten und dem Verlassen einer Bankfiliale gemacht werden, katastrophal zu sein: Während beispielsweise in Frankreich und Großbritannien nur sechs beziehungs weise zwölf Prozent der Bankkunden mit ihren Filialbesuchen unzufrieden sind, trifft dies in Deutschland auf 55 Prozent zu - der schlechteste Wert in den untersuchten Ländern (Abbildung 1).

Ein anderer Berührungspunkt, bei dem der Faktor "Mensch" eine zentrale Rolle spielt, wird von deutschen Kunden ebenfalls negativ bewertet: Der Telefonkontakt. 54 Prozent der Bankkunden sind hierzulande mit der Leistung in diesem Bereich unzufrieden - ebenfalls der schlechteste Wert in den untersuchten Ländern. In Frankreich sind hingegen nur 13 Prozent der Bankkunden mit dem telefonischen Kontakt zu ihrem Finanzinstitut unzufrieden, in Großbritannien sind es 20 Prozent (Abbildung 2). So ist es kein Wunder, dass bei der Kundenbindung die heimischen Finanzinstitute im internationalen Vergleich schlecht abschneiden. Der genannten Studie zufolge liegt der Bindungswert in Deutschland bei 2,78 auf einer Skala zwischen eins (niedrigstmöglicher Bindungswert) und fünf (höchstmöglicher Bindungswert). In Großbritannien und Frankreich beträgt dieser Wert hingegen 3,69 beziehungsweise 3,66, bei amerikanischen Geldhäusern sogar 4,13 (Abbildung 3).

Marco Nink ist Strategic Consultant bei der Gallup GmbH, Potsdam.

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